Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Stop FrontexNach zwei Schiffskatastrophen mit über 800 Toten vor Lampedusa hatte sich der Rat „Justiz und Inneres“ Anfang Oktober 2013 mit der EU-Politik gegenüber Geflüchteten befasst. Hätte es keine Streitigkeiten über Zuständigkeiten der maltesischen und italienischen Küstenwache gegeben, wären damals weit weniger Menschen gestorben. Trotzdem wurde der Fokus anstatt auf die Seenotrettung auf die Verhinderung von unerwünschten Einreisen in die EU gelegt.

Der Rat richtete die „Task-Force-Mittelmeer“ ein. Die Gruppe soll Vorschläge ausarbeiten und an den Rat der Europäischen Union übermitteln. Die unverzügliche Rückführung von ausreisepflichtigen Migranten soll oberste Priorität haben. Empfohlen wird, stärker mit Sicherheitsbehörden in Ägypten, Libyen, Algerien und dem Libanon zu kooperieren. Stets ist von „Schleusungen“ die Rede, jede Fluchthilfe durch libysche oder tunesische, aber auch europäische Staatsangehörige wird auf diese Weise kriminalisiert. 

Die „Task-Force-Mittelmeer“ ist Ausdruck der militarisierten Flüchtlingspolitik der EU: Außer der Grenzagentur Frontex und der kriminalpolizeilichen Agentur Europol macht auch der Auswärtige Dienst, der für die Militärpolitik der EU zuständig ist, bei der „Task Force“ mit. In Libyen hatte die EU erfolglos versucht, dem Militär zur Rückeroberung der Kontrolle über Grenzanlagen zu verhelfen. Das ging schief: In der Polizeimission „EUBAM Libyen“ ausgebildete Milizen kämpfen nun gegeneinander. Libyen plant als erstes nordafrikanisches Land an einem europäischen, von Spanien aufgebauten Überwachungssystem des Mittelmeers teilzunehmen.

Frontex profitiert mittlerweile von dem neuen Überwachungssystem EUROSUR, das dieses Jahr in Betrieb ging und alle bereits vorhandenen Systeme der Mitgliedstaaten vernetzt. Hierzu gehört auch militärische Aufklärungstechnik. Die „Task-Force-Mittelmeer“ empfiehlt die Nutzung weiterer „moderner Überwachungstechnologien“.

Ebenfalls im Oktober hatte die italienische Marine und Küstenwache die Operation „Mare Nostrum“ gestartet, um Geflüchtete im Mittelmeer aufzugreifen. Italien hatte stets angekündigt, die Operation 2014 wieder zu beenden und die EU aufgefordert, Verantwortung zu übernehmen. Zunächst wegen der Militarisierung der Flüchtlingspolitik vielfach kritisiert, hatten später auch Menschenrechtsorganisationen die Fortführung von „Mare Nostrum“ gefordert.  Nach UNHCR-Angaben sind in diesem Jahr 108.000 Bootsflüchtlinge in Italien angekommen. Dass diese nicht wie im Dublin-Abkommen festgeschrieben in Italien verbleiben können, versteht sich von selbst.

Im Winter hatte Italien den provokanten Vorschlag lanciert, wonach die EU und ihre Mitgliedstaaten ebenfalls militärische Aufklärungskapazitäten im Mittelmeer zur Suche nach Migranten bereitstellen sollen. Auch NATO-Verbände sollten demnach eingebunden werden. Glücklicherweise hatten viele Mitgliedstaaten Bedenken angemeldet und den zivilen Charakter der EU-Migrationspolitik hervorgehoben.

Ende August kündigte die EU-Innenkommissarin eine neue EU-Operation „Frontex Plus“ an, die mittlerweile unter dem Namen „Triton“ firmiert. Sie soll „Mare Nostrum“ ablösen und im November beginnen. Auch Frontex soll mitmachen, allerdings bezieht sich „Triton“ lediglich auf die Regionen vor den Küsten der EU-Mitgliedstaaten. Zur Finanzierung wurde das Budget von Frontex zwar erhöht, die Operation wird aber vor allem durch die Zusammenlegung zweier anderer Mission ermöglicht. Pro Asyl rechnet vor, dass „Triton“ lediglich „2 Cent pro EU-Bürger im Monat“ kostet und fordert mehr Anstrengungen und Mittel, um Geflüchtete bzw. deren womöglich havarierte Boote ausfindig zu machen.

Die amtierende italienische EU-Ratspräsidentschaft hat die Migrationspolitik zur Priorität ihres EU-Vorsitzes erklärt. Dabei geht es aber vor allem um die „Bekämpfung illegaler Migration“ und weniger um Flüchtlingspolitik. Die neue EU-Kommission schafft hierzu ebenfalls Fakten, indem der Kommissionspräsident den Bereich der Migrationspolitik aufwertet, der zuständige Kommissar nun aber für „Migration und Inneres“ zuständig ist. 

In ihrer gemeinsamen Initiative mit Frankreich, Großbritannien, Polen und Spanien unterstützt die Bundesregierung diesen Kurs. Eine „verstärkte Koordinierung als europäische Antwort auf Migrationsfragen im Mittelmeerraum“ soll demnach auf Vorschlägen der „Task-Force-Mittelmeer“ aufbauen. Geflüchteten sollen beispielsweise noch auf hoher See die Fingerabdrücke abgenommen werden. Jene, denen kein Anspruch auf Asyl zugesprochen wird, sollen sofort abgeschoben werden. Dies wird die illegalen Zurückweisungen (sogenannte „Push Back“-Operationen) aber nur verstärken. 

Nun schlägt die italienische Regierung vor, in Libyen oder Tunesien ein Zentrum für die Polizei- und Zollzusammenarbeit einzurichten. Der Bürgerkrieg in Libyen und die instabile Sicherheitslage mit Morden und Folterungen an Migrant/innen wird nicht einmal erwähnt. Auch Frontex und Europol sollen in das neue Zentrum eingebunden werden. Der Vorschlag zielt auf eine Bekämpfung von „Terrorismus, illegaler Einwanderung, Menschenhandel und organisiertem Verbrechen“. Wieder werden „Terrorismus“ und Migration in einem Atemzug genannt. Soll hier an die Zusammenarbeit von Italien mit Muammar al Gaddafi angeknüpft werden, die damals unter dem Motto „Mehr Benzin, weniger illegale Einwanderung“ firmierte?

Im bulgarischen Svilengrad wird derzeit ebenfalls ein Polizeizentrum aufgebaut, an dem außer Griechenland mit der Türkei erstmals ein Nicht-EU-Staat mitarbeitet. Laut Italien sollen dieses „trilaterale Polizeizentrum“ und der neue EU-Polizeiposten im Maghreb eng mit italienischen Kommandozentralen kooperieren. Auch in Svilengrad sollen die EU-Agenturen Frontex und Europol mitarbeiten.

Obwohl es nicht die EU-Außengrenzen betrifft, hier noch ein weiteres Beispiel der drastischen EU-Migrationspolitik: Im Lichte der Revolten in Tunesien und Libyen hatte die EU den sogenannten „Notfallmechanismus“ zur Wiedereinführung von Kontrollen der EU-Binnengrenzen erweitert. Auf Druck Deutschlands und Frankreichs dürfen ab Herbst 2014 für bis zu zwei Jahre Kontrollen durchgeführt werden, wenn einer anderen Regierung „anhaltende schwerwiegende Mängel“ bei den Kontrollen ihrer EU-Außengrenzen vorgeworfen werden können und dadurch das Funktionieren des Schengen-Raums „insgesamt gefährdet ist“. 

Die neue Maßnahme war gegen Griechenland und Italien gerichtet. Bekanntlich nutzt sie nun den Scharfmachern: „Lampedusa darf kein Vorort von Kiefersfelden werden“, erklärt der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer droht bereits die Wiederaufnahme von Kontrollen an der Grenze zu Österreich an. 

Ich bin hingegen der Meinung: Wer es ernst meint mit einer solidarischen Europäischen Union, kann sich die europäischen „Vororte“ nicht aussuchen. Deutschland muss wesentlich mehr Geflüchtete aufnehmen und sich für eine Abrüstung der EU-Migrationspolitik einsetzen. Anstatt auf die „verstärkte Bekämpfung von Schleuserstrukturen“ zu setzen, müssen den Geflüchteten sichere Korridore zur Einreise in die EU angeboten werden, bei denen niemand zu Tode kommen kann. 

Ich begrüße deshalb ausdrücklich Initiativen von Menschenrechtsorganisationen, die den Betroffenen bei einer sicheren Überfahrt über das Mittelmeer helfen wollen. Mir sind mittlerweile einige Gruppen bekannt, in denen sich europäische Aktivist/innen entsprechend engagieren und die Geflüchteten hierzu beraten. Derartige Initiativen müssen unbedingt unterstützt werden! 

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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