Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Mark Kennedy IcelandSeit seinem Auffliegen vor sechs Jahren versuchen wir herauszufinden, wer den mehrjährigen Einsatz des britischen Undercover-Polizisten Mark Kennedy in Berlin und anderen deutschen Städten verantwortet. Der verdeckte Ermittler unterhielt „Freundschaften“, nahm an Treffen teil, betrat Privatwohnungen, beging Straftaten und belog Polizei und Staatsanwaltschaft unter seinem Tarnnamen. Außer in Deutschland war Kennedy von 2004 bis 2010 in mindestens zehn weiteren Ländern aktiv, darunter auch in den USA. Die Bundesregierung behauptet, sein Einsatz habe der „Legendenbildung“ gedient. Er selbst erklärte, dabei auch Beweismaterial aus Berlin zu seinen Polizeiführern nach London geschafft zu haben. 

Acht Frauen aus Großbritannien hatten die Metropolitan Police wegen des Einsatzes von Sexualität und des Eingehens tiefgehender, emotionaler Beziehungen im Rahmen von Spitzeleinsätzen verklagt. In mindestens zwei Fällen wurden die betroffenen Frauen dabei schwanger. Mittlerweile hat sich die britische Polizei für die jahrelange Praxis entschuldigt, die Betroffenen erhalten finanzielle Kompensationen. 

In wessen Auftrag war Mark Kennedy jahrelang in Berlin?

Zu den Tätern gehört auch Mark Kennedy. Dies ist nunmehr Gegenstand einer richterlichen Untersuchung unter Leitung des Lord Justice Pitchford. Das mindestens dreijährige Verfahren soll allerdings auf England und Wales beschränkt bleiben. Lord Pitchford soll Fälle aufklären, in denen sexuelle Kontakte von verdeckten Ermittlern bekannt wurden. Untersucht wird auch, ob sich die Polizisten weiterer Rechtsbrüche schuldig machten, darunter die Anstiftung zu Straftaten. Dies ist mir beispielsweise aus Berlin bekannt. Ich gehe davon aus dass Mark Kennedy auch in Deutschland sexuelle Beziehungen mit Ziel- und Kontaktpersonen unterhielt.

Der Einsatz von verdeckten Ermittlern aus dem Ausland enthält eine wesentliche rechtliche Lücke. Zwar werden etwaige Strafverfahren gegen die Polizisten am Tatort geführt, also in dem zuständigen Bundesland. Für die disziplinarrechtliche Verfolgung ist jedoch die entsendende Behörde zuständig, in diesem Fall in London. Bezüglich Mark Kennedy ist ein Verfolgungswille der britischen Regierung nicht vorhanden. 

Ich begrüße deshalb, dass sich das Bundesinnenministerium nach unseren zahlreichen Eingaben, Anfragen und offenen Briefen dazu entschloss, die Ausdehnung des Untersuchungsauftrags der Pitchford-Untersuchung auf verdeckte Einsätze britischer Polizeibeamter in Deutschland zu verlangen. So haben es bereits Abgeordnete aus Island, Schottland, der Republik Irland und Nordirland gefordert. Die schottische und die nordirische Regierung haben die Aufnahme auch offiziell verlangt. Die geforderte Ausweitung ist abhängig von der Entscheidung der Innenministerin Theresa May. Ich fordere die Bundesregierung auf, es nicht bei dem Schreiben zu belassen und die internationale Ausweitung der Pitchford-Untersuchung mit dem nötigen Druck zu verfolgen.

Welche Gruppen und Bewegungen wurden in Deutschland ausgespitzelt?

Seit 1968 haben mindestens 100 britische Polizeispitzel 460 politische Gruppen unterwandert, darunter auch in Deutschland. Die Zahl bezieht sich lediglich auf eine von mehreren Einheiten, denen verdeckte Ermittlungen erlaubt sind. Wie im Fall von Mark Kennedy dienten viele Einsätze allein der Kriminalisierung von linkem Aktivismus. In Deutschland sind mir dazu das frühere Dissent!-Netzwerk oder Jugend gegen Rassismus in Europa bekannt. Das britische Innenministerium muss offenlegen, welche weiteren deutschen Gruppen und Bewegungen in wessen Auftrag ausgeforscht wurden.

Damit ist es aber nicht genug. Ich muss davon ausgehen, dass noch nicht alle etwaigen Betroffenen in Deutschland wissen, dass es sich bei ihrem Sexualpartner „Mark Stone“ um den Polizisten Mark Kennedy handelte. Deshalb können sie keine Verletzung ihrer Rechte (etwa wegen emotionaler und sexueller Ausbeutung, Nötigung) anzeigen. Die deutschen und britischen Behörden stehen also in einer Bringschuld. 

Das Bundesinnenministerium muss bei den britischen Behörden Erkundigungen einholen, mit welchen Personen britische verdeckte Ermittler/innen in Deutschland rechts- bzw. pflichtwidrig emotionale Bindungen und Sexualität praktizierten. Dies muss bei der National Public Order Intelligence Unit bzw. ihrer Nachfolgeorganisation bekannt sein, denn laut Mark Kennedy sind Polizeiführer stets informiert wo die Spitzel übernachten. Die Behörde hat bestätigt, über entsprechende Informationen zu verfügen. Werden dem Bundesinnenministerium solche Fälle bekannt, verlange ich die Unterrichtung der Betroffenen mit dem Inhalt, dass es sich bei den Sexualpartner/innen um Tarnidentitäten von Polizist/innen handelte. 

Parlamentarische Kontrolle wird behindert

Der Skandal-Einsatz von Mark Kennedy führte zu einer Überarbeitung einiger Regularien durch das Bundeskriminalamt und die Innenministerkonferenz. Die daraus entstandene, als Verschlusssache eingestufte „Handreichung zum Einsatz verdeckt eingesetzter ausländischer Polizeibeamter in Deutschland“ muss uns Abgeordneten zugänglich gemacht werden. Nur so kann die parlamentarische Kontrolle grenzüberschreitender verdeckter Ermittlungen überhaupt ermöglicht werden. In Berlin wurde beispielsweise erst 2012 geregelt, dass ausländische verdeckte Ermittler/innen über ein Verbot sexueller Kontakte im Rahmen des Einsatzes belehrt werden.

In Deutschland werden jedoch immer mehr Fälle bekannt, in denen auch inländische verdeckte Ermittler/innen sexuelle und intime Beziehungen mit Ziel- oder Kontaktpersonen eingingen. Dabei werden Kompetenzen und Ermittlungsaufträge regelmäßig überschritten. Diese Vorfälle müssen auf Bundesebene untersucht werden, denn ich sehe darin einen polizeilichen Apparat, der sich unkontrolliert verselbständigt. 

Es braucht deshalb auch in Deutschland eine Untersuchungskommission, die sämtliche Vorfälle auswertet und die Einsätze von Polizeispitzeln auf den Prüfstand stellt. Hierzu gehört auch die Mitarbeit deutscher Kriminalämter in zwei internationalen Polizeinetzwerken zu verdeckten Ermittlungen, die sich fernab öffentlicher Kontrolle etabliert haben. 

Andrej Hunko

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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