Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Rede im Bundestag (zu Protokoll)

Die Begleitgesetzte zum Lissabonvertrag, sollten die demokratischen Mitwirkungsrechte des Bundestages in EU-Angelegenheiten sichern. Unter dem Druck der Eurokrise werden diese Mitwirkungsrechte jedoch systematisch geschliffen. Insgesamt droht in der EU nicht nur Sozialabbau, sondern auch ein massiver Demokratieabbau. Es ist dringend erforderlich die demokratischen Errungenschaften europaweit zu verteidigen und auszubauen.

"Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

wir diskutieren heute über die Mitwirkungsrechte des Bundestages in EU-Angelegenheiten, konkret über die Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon. Und da muss man daran erinnern, dass die in diesen Begleitgesetzen verankerten Mitwirkungsrechte erst nach Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht, an der wir als Linksfraktion einen großen Anteil hatten, ermöglicht wurden.

Wir reden also über die Frage der Demokratie in Europa und da sieht es gegenwärtig alles andere als gut aus: Darf ich daran erinnern, welcher Aufschrei quer durch die EU-Eliten ging, als ein griechischer Ministerpräsident auf die Idee kam, seine Bevölkerung über eine weitreichende Entscheidung per Referendum abstimmen zu lassen? Papandreou wurde umgehend zum Rapport bestellt und musste wenige Tage später zurück treten. Jetzt ist ein Banker Regierungschef und Rechtspopulisten sitzen in der Regierung.

Ich kann hier nur Jürgen Habermas zustimmen, der den Vorgang wie folgt beschreibt: „Die Hauptdarsteller auf der Bühne der EU- und Euro-Krise, die seit 2008 an den Drähten der Finanzindustrie zappeln, plustern sich empört gegen einen Mitspieler auf, der es wagt, den Schleier über den Marionettencharakter ihrer Muskelspiele zu lüften.“ Der „zynische Sinn dieses griechischen Dramas“ enthülle „weniger Demokratie ist besser für die Märkte“. Und das griechische Drama geht ja weiter: Nun soll auch noch der vereinbarte Termin von Neuwahlen am 19. Februar 2012 verschoben werden, weil dies „die Märkte beunruhigen könne“.

Und auch die jüngsten Gipfelergebnisse der Bildung einer „Fiskalunion“ sind unter dem Demokratieaspekt höchst fragwürdig und man wird sehen, ob sie vor dem Bundesverfassungsgericht oder den demokratischen Errungenschaften anderer EU-Mitgliedsländer Bestand haben werden.

Unter diesen Bedingungen sind die Beteiligungsrechte des Bundestages eben auch eine Errungenschaft, die den Interessen der Finanzindustrie nicht geopfert werden darf.

Der Bundestag ist jedoch bis heute nicht fähig, die europäische Politik der Regierung zu kontrollieren. Das liegt aber weniger an dem Begleitgesetz oder der Regierung, sondern am fehlenden politischen Willen der Koalition, aber auch von SPD und Grünen: Ihnen fehlt der politische Wille diese Rechte wirklich umfänglich in Anspruch zu nehmen. Nicht die Regierung hält sich ein Parlament, sondern das Parlament bestimmt und kontrolliert die Regierung.

Und mit diesem Antrag bezeugt die Koalition, dass sie nicht auf die Einhaltung der Rechte des Bundestages besteht. Es grenzt ja schon an Realsatire, dass Sie in Ihrem Antrag von einer „weiteren Stärkung“ der Rechte des Parlaments schreiben. Man sollte sich das vor Augen führen: Wir erleben die massivste Entdemokratisierung in der Geschichte der Europäischen Union und den Koalitionsfraktionen fällt nicht mehr ein, als die völlige Missachtung der Rechte des Parlaments schön zu reden.

Die Europapolitik der Bundeskanzlerin in der EU-Krise hat den Bundestag geradezu vorgeführt:

Mit dem großen Druck der Krise drückt Frau Merkel erst die angebliche Griechenlandhilfe, die in Wirklichkeit eine Bankenhilfe ist, durch – und präsentiert sie als einmalige Ausnahme.

Dann wird eine Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) eingerichtet, die aber ganz bestimmt nur eine temporäre Konstruktion für die Euro-Krise darstellen solle. Und wieder folgt die Parlamentsmehrheit brav.

Dann wird mit dem ESM eine ständige Institution neben der EU geschaffen. Diesen Vorgang hat der ehemalige belgische Premierminister und heutige Liberale im Europäischen Parlament, Guy Verhofstadt, zutreffend als „Merkels Putsch gegen die EU“ bezeichnet.

Da diese, vom Bundestag so nicht geforderte Institution nicht Teil der EU ist, kann die Bundesregierung behaupten und bis jetzt darauf bestehen, dass die Parlamentsrechte nach dem Begleitgesetz nicht anwendbar seien. Denn diese Begleitgesetze beschränken sich auf die EU – das gilt auch für die zukünftigen Entscheidungen.

Ich gebe ihnen dafür auch ein einfaches Beispiel, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, CSU und FDP: Gemäß Ihrem Antrag von Februar fordert der Bundestag die Bundesregierung auf, dass der ESM alle Maßnahmen nur einstimmig auslösen darf. Letztes Wochenende hat die Bundeskanzlerin nun das Gegenteil durchgesetzt. Hatte sie dazu ein politisches Mandat des Bundestages oder hat sie ihm vorher über die Gründe informiert, weshalb sie von seiner Forderung abgewichen ist? Oder wenigstens im nachhinein?

Nein das hat sie nicht – und sie sieht sich dazu auch nicht verpflichtet!

Dieses Parlament begleitet tatsächlich die angebliche Eurorettung – der Ort der politischen Willensbildung liegt allerdings im Kanzleramt hinter verschlossenen Türen. Der Wille der Bundeskanzlerin wird in diesem Haus erst nach der Verhandlung mit den anderen Regierungen und nach der Verkündung in der Presse nachvollzogen.

So hatte die Bundesregierung dem EU-Ausschuss vor dem entsprechenden Gipfel auch jede Information zum Europlus-Pakt verweigert.

Das Problem wird insbesondere bei der jetzt geplanten, so genannten „Fiskal-Union“ deutlich, die wiederum außerhalb der Verträge eingerichtet werden soll. Dabei wird nicht nur der deutsche Bundestag, sondern auch das Europäische Parlament entmachtet, während die Exekutiven – demokratisch nicht legitimiert und kontrolliert – die Arbeits-, Sozial- und Haushaltspolitik steuern wollen. Doch was uns als gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik verkauft werden soll, ist im Wesentlichen eine Sanktionsunion – gerichtet gegen die Verlierer des Euro.

Die Bundesregierung gibt vor, mit ihrer Krisenpolitik zur Rettung des Euro beizutragen. Tatsächlich scheint ihr Hauptinteresse aber darin zu liegen, die deutsche Dominanz in Europa weiter auszubauen. Was wir erleben, ist eine Übertragung der Schuldenbremse, der unsozialen Agenda 2010, der ganzen deutschen Austeritätslogik auf ganz Europa. Geopfert wird dabei das, was an Demokratie noch übrig geblieben ist.

Die Fiskalunion soll die politische und wirtschaftliche Architektur Europas verändern – für die Lösung der Eurokrise tut sie absolut nichts. So sind nur zwei Tage nach dem letzten und angeblich erfolgreichen Gipfel die Zinsen für Italiens Anleihen auf ein Rekordhoch gestiegen.

Das Problem dieser deutschen Transformation der EU ist nicht die Gefahr einer Transferunion, wie sie manche im Bundestag befürchten. Das Problem ist die Transition der parlamentarischen Demokratien in eine autoritäre Eurokratie, die nicht nur die parlamentarische Haushaltssouveränität aufhebt, sondern auch unsere Verfassungsidentität als Demokratie und Sozialstaat bedroht!

Dies verstößt so ziemlich gegen alle Prinzipien, die das Bundesverfassungsgericht in seiner jahrelangen Rechtsentwicklung formuliert hat. Das wiederspricht übrigens auch dem jüngsten CDU-Parteitagsbeschluss zu Europa, der unter anderem verkündet: „Jede Übertragung von zusätzlichen Kompetenzen an die Europäische Union muss deshalb mit einem Mehr an Handlungsfähigkeit, demokratischer Legitimation und Transparenz einhergehen.“

Wenn dieser Antrag angenommen wird, ist das eine symbolische Kapitulation des Deutschen Bundestags vor der Exekutive.

Ich fordere daher alle Kolleginnen und Kollegen auf: Nehmen sie ihre Arbeit als Abgeordnete und Vertretung der Bevölkerung und der legislativen Gewalt ernst. Übernehmen sie Verantwortung: Für eine demokratische Europäische Union. Für die Rechte dieses Parlaments. Und nicht zuletzt für die Identität unserer Verfassung, die sowohl die Demokratie als auch den Sozialstaat garantiert!

Abschließend möchte ich noch einen Gedanken mit Ihnen teilen, der vielleicht auch andere Parlamentarier interessieren könnte: Die absolute Konzentration der Exekutiven im ESM, wie auch in der neuen Fiskalunion, schließt die Parlamente von wichtigen Entscheidungen aus, genau wie von den Entscheidungen im Europäischen Rat.

Vielleicht sollten wir daher die Bundesregierung für die bevorstehende „Wahl“ auffordern einen Kandidaten für den Präsidenten des Europäischen Rates vorzuschlagen, der die Rolle der Parlamente stärkt: Wie wäre es zum Beispiel mit dem nächsten Präsidenten des Europäischen Parlaments?

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, eine meiner letzten Reden hier im Bundestag hatte ich mit den Worten abgeschlossen: „Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein“. Heute sage ich zum Abschluss: „Europa wird demokratisch sein, oder es wird nicht sein“."

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko