Aufstände in Tunesien und Ägypten verändern die Region. Westsahara-Konflikt im Schatten des Solar-Booms. Ein Gespräch mit Andrej Hunko

Andrej Hunko (Die Linke) ist Mitglied des Deutschen Bundestags und des Ausschusses für Angelegenheiten der EU. Er bereiste mit der Parlamentariergruppe die Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Mauretanien

Sie haben Anfang März an einer Delegationsreise der Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten nach Algerien, Marokko und Mauretanien teilgenommen. Wen haben Sie getroffen?

Hauptsächlich Parlaments- und Regierungsvertreter, aber auch von Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Menschenrechtsgruppen, was ursprünglich in Marokko nicht vorgesehen war. Das mußte ich erst mühsam durchsetzen. Außer der FDP waren in der Delegation alle Bundestagsfraktionen vertreten.

Wie wurden die Aufstände in Tunesien und Ägypten in den Ländern, die sie besucht haben, aufgenommen?

Die Auswirkungen sind überall spürbar, aber auf unterschiedliche Art. In Algerien war wenige Tage vor unserer Ankunft ein fast 20Jahre andauernder Ausnahmezustand aufgehoben worden. Trotzdem gab es ein Demonstrationsverbot. In Algier sah ich an verschiedenen Ecken Wasserwerfer stehen. Ein Demonstrationsversuch von wenigen hundert Menschen war kurz vorher mit einem Polizeiaufgebot von 30000 Mann unterbunden worden. In der marokkanischen Hauptstadt Rabat haben wir mehrere Demonstrationen von jeweils 500 bis 1000 arbeitslosen Akademikern gesehen, die Jobs forderten. Die »Bewegung des 20. Februar« plant im April wieder große Demonstrationen, wie sie am 20. Februar in ganz Marokko stattgefunden haben. Beteiligt sind Studentengruppen, Gewerkschaften und – am Rande – auch islamische Gruppen. Organisatorisches Rückgrat ist die marokkanische Vereinigung für Menschenrechte, die wir auch getroffen haben. Sie hat etwa 12000 Mitglieder. Der König und die Regierung versuchen, der außerparlamentarischen Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie die Lebensmittelpreise subventionieren. Außerdem wurde angekündigt, Akademikerstellen zu schaffen; und der König verzichtet jetzt auf die Ernennung von Ministern.

Wie ist das Verhältnis der marokkanischen Opposition zur Unabhängigkeitsbewegung der Westsahara, die der marokkanische Staat für sich beansprucht?

In Marokko gibt es drei Tabus, die von keiner Fraktion im Parlament angetastet werden: die Westsahara, den König und den Islam. Die kommunistische Partei bildet da keine Ausnahme. Alle sprechen dort von »unseren südlichen Provinzen«, wenn sie die Westsahara meinen. Im Vorfeld der Reise habe ich mich darum bemüht, daß wir auch die Westsahara besuchen. Das habe ich allerdings nicht geschafft. Vermutlich sollten diplomatische Komplikationen mit Marokko vermieden werden. Der Menschenrechtsausschuß wird nun separat die Westsahara besuchen. Ohne diese Zusage wäre ich nicht mitgereist.

In der Westsahara gibt es zwar kein Öl, sie eignet sich aber als Standort für Solaranlagen. War das für Ihre Delegation ein Gesprächsthema?

Die marokkanische Energieministerin hat uns eine Strategie vorgestellt, die den Bau von Atomkraftwerken einschließt. Auf die Frage, wo sie gebaut werden sollen, hießt es »in unseren südlichen Provinzen«. Sonst wird immer nur der Ausbau der erneuerbaren Energien kommuniziert. Im Geschäft ist DESERTEC, ein Konsortium, an dem deutsche Firmen maßgeblich beteiligt sind. Marokko plant Solaranlagen in fünf Landesteilen, zwei davon in der Westsahara. DESERTEC behauptet offiziell, daß es keine Pläne für diese Gebiete gibt. Ein gegenteiliges Indiz ist aber, daß zwei Wochen vor unserer Ankunft eine deutsche Wirtschaftsdelegation mit einem CDU-Parlamentarier auf Einladung der marokkanischen Regierung in die Westsahara gereist ist. Ein diplomatischer Affront, denn der normale Weg führt über die UNO.

Wäre es sonst nicht grundsätzlich gut, die Solarenergie in der Wüste nutzbar zu machen?

Die Frage ist, ob es solche Großprojekte sein müssen. Ich wäre eher für eine dezentrale Energieversorgung. Solche Großprojekte sind natürlich für Konzerne interessanter. Aber das rechtfertigt keine Verletzung des Völkerrechts. Die EU hat zum Beispiel gerade ein Fischereiabkommen mit Marokko geschlossen, das auch das Fischen vor der Küste der Westsahara einschließt. Hier läuft eine Politik des Faktenschaffens, während auf diplomatischer Ebene Neutralität geheuchelt wird, weil der völkerrechtliche Status der Westsahara ungeklärt sei.

 

Quelle: junge Welt, 18.03.2011