Die Entscheidung des Krimparlaments sich umgehend der russischen Föderation anzuschließen ist zweifellos ein Bruch der ukrainischen Verfassung und wahrscheinlich auch des Völkerrechts. Sie ist eine weitere Stufe in der Eskalationsdynamik in Richtung eines neuen kalten Krieges, der regional auch schnell in einen heißen Krieg umschlagen kann.

Die treibende Kraft hinter dieser Eskalationsdynamik und der damit einhergehenden Erosion des ukrainischen und internationalen Rechts ist jedoch nicht Russland, sondern schon seit Monaten EU und USA:

Schon Wochen vor der anvisierten Unterzeichnung des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens warnte die russische Seite, dass die Art und Weise der Konstruktion dieses Abkommens sowie der Zusatzbedingungen als bedrohlich für Russland angesehen würde, weil sie die Ukraine nicht als Brücke zwischen EU und Russland halten, sondern in Stellung gegen Russland bringen würde. Russland würde entsprechend „reagieren“, wie es der russische Botschafter auf einem Symposium Anfang November 2013 in Berlin zum Ausdruck brachte.

Der Entscheidung von Janukowitsch im November, auf russischen Druck die Unterzeichnung des Abkommens zu suspendieren, folgten zwei parallele Prozesse, die sich in der Maidan-Bewegung gegenseitig verstärkten: Einerseits brach sich in den Demonstrationen die jahrelang aufgestaute Unzufriedenheit mit dem in der Ukraine extrem ausgeprägten und geopolitisch oszillierenden Oligarchensystem – der Selbstbereicherung und politischen Einflussnahme durch einige hundert Familien – Bahn. Andererseits wurde diese Bewegung von Anfang an massiv geopolitisch überlagert und organisatorisch und ideologisch von rechtsextremen und zum Teil  äußerst gewaltsam vorgehenden Kräften wie der Partei Swoboda und dem rechten Sektor dominiert.

Die direkte und indirekte Akzeptanz oder sogar Unterstützung einflussreicher Kräfte des Westens mit diesen Kräften trug auch zur blutigen Eskalation am 20. Februar und zum Zurückdrängen der berechtigten sozialen und demokratischen Forderungen vieler Maidan-Demonstrant/innen bei. Nach wie vor ist unklar, von wem die Eskalation am 20. Februar ausgegangen ist und wer auf wessen Befehle geschossen hat. Die Einrichtung einer möglichst unabhängigen internationalen Untersuchungskommission ist das Gebot der Stunde. Es spricht für sich, dass diese Forderung offenbar weder von der gegenwärtigen de-facto-Regierung noch von außen aufgestellt wird.

Das Steinmeier-Abkommen vom 21. Februar, das sowohl von Janukowitsch, als auch von den drei Oppositionsführern und den drei Außenministern Frankreichs, Deutschland und Polens unterzeichnet und vom Maidan-Rat unterstützt wurde, hätte mit seinen fünf Prinzipien, inklusive Übergangsregierung, Minderheitenschutz, Neuwahlen, Entwaffnung paramilitärischer Gruppen und Verzicht auf politische Repression einen sinnvollen Rahmen für einen politischen Prozess bieten können. Selten war ein Abkommen in der internationalen Politik so schnell Makulatur: Mit der Zurückweisung dieses Abkommens durch den rechten Sektor auf dem Maidan und der Androhung eines bewaffneten Angriffs auf die Regierungsgebäude war das Abkommen bereits überholt.

Die schnelle Anerkennung der eindeutig verfassungswidrigen Amtsenthebung von Janukowitsch und der Bildung einer neuen de-facto-Regierung aus rechtsextremer Swoboda und ukrainisch-nationalkonservativer Vaterlandspartei trug ebenso zur weiteren Eskalation bei. Als erstes Gesetz wurde der Gebrauch von russisch und anderer Minderheitensprachen massiv eingeschränkt – erst auf Druck von Barroso wurde die Unterzeichnung dieses Gesetzes durch den de-facto-Präsidenten ausgesetzt. Ein Swoboda-Mann wurde Generalstaatsanwalt und Paramilitärs des rechten Sektors erhielten hochrangige Funktionen im Innenministerium.

Niemand konnte so naiv sein zu glauben, dass diese Entwicklungen und ihre weitgehende Akzeptanz  durch EU und USA im traditionell Russland-orientierten Osten der Ukraine ohne entsprechende Reaktionen bleiben würden. Die gegenwärtige Krise um die Krim und möglicherweise auch in anderen Regionen ist die logische Folge dieser Eskalationspolitik. Nicht Putin hat den kalten Krieg gestartet, er reagiert allerdings innerhalb seiner Logik. Er setzt dabei auch auf militärische Machtdemonstrationen, die wir ablehnen.

Wichtig wäre es jetzt, diese Kalte-Kriegs-Logik zu durchbrechen. Dazu gehört, die Dämonisierung Russlands aufzugeben, Gesprächsfäden zu knüpfen statt sie abzubrechen. Dazu gehört, die Kooperation mit Rechtsextremen zu beenden. Dazu gehört eine Neuausrichtung der EU-Ostpolitik, die nicht von geopolitischem Hegemoniedenken und neoliberalen Wirtschaftsideologien geprägt ist, sondern von echter Kooperation. Dazu gehört es auch, die unerträgliche Doppelmoral in den internationalen Beziehungen zu beenden. All das ist notwendig, um einen neuen kalten Krieg zu vermeiden, aber auch um der ukrainischen Bevölkerung die Chance zu geben, die Oligarchisierung des Landes politisch zu beenden.