Am Dienstag hat die EU-Kommission ihre „Europäische Sicherheitsagenda“ veröffentlicht. Das Dokument widmet sich den Bedrohungen „Terrorismus, organisierte Kriminalität und Cyberkriminalität“ und beschreibt Maßnahmen, die derzeit in der Pipeline sind. Wie die früheren Fünfjahrespläne der Europäischen Union fasst das Papier die „wichtigsten Prioritäten und Maßnahmen für den Zeitraum 2015-2020″ zusammen.
Ein zentrales Element ist die Ausweitung der Datenverarbeitung: So wird das Schengener Informationssystem um neue Speichermöglichkeiten erweitert, die Abfrage von Daten bei der internationalen Polizeiorganisation Interpol soll bei jedem Grenzübertritt ebenfalls vorgeschrieben werden. Strafregister werden EU-weit vernetzt, ähnliche Systeme existieren bereits für den Austausch von Fingerabdruck- und DNA-Daten.
Die „Europäische Sicherheitsagenda“ fordert auch die Schaffung eines „Antiterrorzentrums“. Ziel ist die Koordinierung von Ermittlungen und Erleichterung von Strafverfolgungsmaßnahmen. Es soll bei der Polizeiagentur Europol angesiedelt werden. Zunächst würde sich das „Antiterrorzentrum“ der EU mit dem Phänomen „ausländische terroristische Kämpfer“ befassen. Eine spätere Ausweitung, etwa auf andere Formen des „Terrorismus“ oder auch Internetaktivismus könnte dann je nach Wunsch nachgeholt werden.
Entfernung unliebsamer Internetinhalte
Das „Antiterrorzentrum“ soll laut der Kommission bereits vorhandene Einrichtungen bei Europol zusammenfassen. Hierzu gehören die sogenannten Kontaktstellen. Dabei handelt es sich um Analyseeinheiten zu bestimmten Themen, an die sich Mitgliedstaaten nach Bedarf anschließen können. Jede Kontaktstelle verfügt über eine eigene Datensammlung. Europol ist auch die Kontaktstelle für Abfragen von Finanzdaten in den USA. Dort werden europäische Bankdaten über Jahre hinweg gespeichert, um diese für die rückwirkende Analyse verdächtiger Finanztransaktionen zu nutzen. Europol plant die Einführung eines weiteren Systems, um in Echtzeit von Banken über auffällige Finanztransaktionen unterrichtet zu werden. Auch dieses würde in das „Antiterrorzentrum“ integriert.
Außerdem würde das „Antiterrorzentrum“ mit der Entfernung unliebsamer Postings im Internet beauftragt. Hierzu richtet die EU bei Europol derzeit eine „Meldestelle für Internetinhalte“ ein. Erst jetzt ließ die Kommission die Katze aus dem Sack, dass die neue Einheit ebenfalls dem „Antiterrorzentrum“ zugeordnet werden soll. Die „Meldestelle“ ist die Weiterentwicklung eines Projekts des Bundeskriminalamts, in dem Daten zu dem „Phänomenbereich des Islamistischen Terrorismus“ gesammelt werden. Gespeichert werden Informationen zu „relevanten Personen, Organisationen, Medienstellen und Internetseiten“. Bis Ende Mai sollen alle Mitgliedstaaten die polizeilichen Stellen benennen, die an der neuen „Meldestelle“ mitarbeiten wollen. Für Deutschland ist das wohl eine Abteilung des BKA-Staatsschutzes.
„Bedenken in Bezug auf die neuen Verschlüsselungstechniken“
Auf welche Weise sich die „Meldestelle“ von dem BKA-Projekt unterscheidet ist laut der Bundesregierung noch unklar, trotzdem soll die Einheit im Juli ihren Betrieb aufnehmen. Klar ist, dass die „Meldestelle“ nicht nur passiv Informationen entgegennimmt. Sie soll laut der Bundesregierung „Empfehlungen für operative Maßnahmen“ aussprechen. Die Kommission schreibt davon, die „Meldestelle“ solle die Mitgliedstaaten bei der „Beseitigung gewalttätiger extremistischer Online-Inhalte unterstützen“. Die Formulierung ist so windelweich gewählt, da Europol nach EU-Recht selbst keine Zwangsmaßnahmen wie das Löschen oder Sperren von Internetinhalten beantragen darf. Die „Empfehlungen“ werden deshalb an die großen Internetanbieter Google, Facebook und Youtube gerichtet, zu denen Europol seit letztem Jahr informelle Kontakte knüpft.
Geplant ist die Gründung eines „Forums der Internetdienstleister“. Über diese informellen Kanäle werden dann faktisch doch von Europol unliebsame Internetinhalte entfernt. Allerdings soll es auch bessere Abhörmöglichkeiten gehen: Mit Google & Co. will Europol „Bedenken der Strafverfolgungsbehörden in Bezug auf die neuen Verschlüsselungstechniken“ besprechen. Die windelweiche Formulierung knüpft an Berichte an, wonach auch bei EU-Einrichtungen Begehrlichkeiten zum Knacken oder Umgehen von Verschlüsselungstechniken existieren. Dabei geht es um die geschützte Kommunikation im Internet, etwa für Mails, Chats oder dem verschlüsselten Aufruf von Webseiten. Zunächst hagelte es Dementis, das Thema ist aber anscheinend nicht vom Tisch.
Geheimdienstlicher Austausch in Europa soll unkontrollierbar bleiben
Was die EU-Kommission lieber nicht schreibt: Die Einrichtung eines „Antiterrorzentrums“ bei Europol soll die Verarbeitung eingestufter Akten von Inlandsgeheimdiensten legalisieren. Bislang ist Europol dies nicht erlaubt, es fehlt eine entsprechende Verordnung. Auch das gerade erst fertig gestellte neue Europol-Hauptquartier müsste teilweise abhörsicher umgebaut werden. Eine solche Zusammenarbeit mit Geheimdiensten würde kritikwürdige Einrichtungen wie die deutschen Verfassungsschutzämter aber weiter aufwerten.
Das „Antiterrorzentrum“ wurde zuerst von Gilles Kerchove, dem Antiterrorkoordinator der EU, vorgeschlagen. Kerchove folgte dabei dem Vorbild des deutschen „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“ in Berlin-Treptow. Dass dort Geheimdienste und Polizeien unter Missachtung des Trennungsgebotes unter einem Dach zusammenarbeiten kritisiert die Linksfraktion seit Jahren. Vermutlich wird die Bundesregierung dem Vorschlag ebenfalls kritisch gegenüberstehen. Dabei geht es ihr allerdings um die Wahrung der Geheimdienstzusammenarbeit über informelle europäische Netzwerke. Geheimdienstliche Informationen werden von deutschen Verfassungsschutzämtern in der „Counter Terrorism Group“ und im „Berner Club“ getauscht. Beide sind kaum kontrollierbare Vereinigungen mit Stammtischcharakter.
Seit Jahren fordert die Linksfraktion die Auflösung der deutschen Verfassungsschutzämter. Das muss auch für die anderen europäischen Inlandsgeheimdienste gelten. Ein „Antiterrorzentrum“ der EU – ob mit oder ohne Beteiligung von Geheimdiensten - lehnen wir ebenso ab.
Zuerst veröffentlicht am 30. April 2015 im Linksletter