Rede zu Protokoll zur Beratung des Antrags: Politische Mechanis­men zum Schutz europäischer Grundwerte eta­blieren – Rechtsstaatsinitiative konsequent vo­rantreiben (Tagesordnungspunkt 22)

Andrej Hunko (DIE LINKE): Wir reden hier über den Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem schönen Titel „Politische Mechanismen zum Schutz europäischer Grundwerte etablieren – Rechtsstaatsinitiative konsequent vorantreiben“. In der Tat ist die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein unterstützenswertes und brandaktuelles Ziel. Nicht zuletzt die Debatte und Unfähigkeit der Europäischen Union, angemessen auf die bedrohliche Entwicklung in Ungarn zu reagieren, unterstreicht diese Aktualität. Aber auch die jüngste Schließung der öffentlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten in Griechenland oder die rechtswidrige Unterbindung der europaweiten Blockupy-Demonstration in Frankfurt vor der EZB durch die hessische Polizei unterstreicht die Prekarität der Rechtsstaatlichkeit in Mitgliedstaaten der EU.

Allerdings enthält der Antrag der Koalitionsfraktionen eine Reihe von Forderungen und Aussagen, die uns an der Ernsthaftigkeit des Anliegens zweifeln lassen. So heißt es zunächst in ihrem Antrag: „Durch die Schuldenkrise im Euro-Raum droht das Vertrauen vieler Menschen in das gemeinsame europäische Projekt zu sinken“. Es ist aber nicht eine Schuldenkrise, sondern ihr Krisenregime – die Troikaisierung Europas –, das als Reaktion auf die Finanzmarktkrise eingerichtet wurde, die zu dem dramatischen Vertrauensverlust insbesondere in den südeuropäischen Ländern geführt hat. Die erwähnten jüngsten Ereignisse in Griechenland sind auch in diesem Kontext zu sehen. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem europäische Grundwerte, auch die Rechtsstaatlichkeit, gegen dieses Krisenregime verteidigt werden müssen.

Es ist in dem Zusammenhang befremdlich, dass diese „Rechtsstaatsinitiative“ genau von den Ländern im Euro-Raum ausgeht – Deutschland, Niederlande, Dänemark, Finnland –, die als Überschussländer weniger von den Auswirkungen des Krisenregimes betroffen sind als die Krisenländer. Im Sinne eines integrativen Ansatzes wäre hier ein umfassenderes Herangehen wünschenswert gewesen.

Im Feststellungsteil Ihres Antrages bezeichnen Sie zu Recht die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarates als „Richtschnur, an der europäisches Handeln“ ausgerichtet werden müsse. Wenn Sie dieser Meinung sind, dann müssen die Organe des Europarates zur Umsetzung der Konvention gestärkt und dürfen nicht geschwächt werden. Es ist skandalös, dass bei der Vorstellung ihrer Initiative der zuständige Staatsminister genau diese Organe als ungeeignet bezeichnet hat und man deshalb einen neuen Mechanismus innerhalb der EU brauche. Es ist zu befürchten, dass ihre Initiative darauf hin­ausläuft, hier Parallelstrukturen zu schaffen, die dazu geeignet sind, die wesentlich differenzierteren Instrumente des Europarates beiseitezuschieben, ähnlich wie dies schon bei der Einrichtung der Grundrechteagentur in Wien der Fall war.

Unglaubwürdig ist der Antrag auch deshalb, weil zumindest einer der regierenden Koalitionspartner, die CDU/CSU, sich im Fall Ungarn, der ja den Hintergrund der Debatte innerhalb der EU um die Frage des Art. 7 EUV bildet, mit Händen und Füßen dagegen wehrt, dass diese Instrumente zur Anwendung kommen. Ich finde ihr Argument auch bemerkenswert, Sie wollten diesen neuen Mechanismus, da der EU-Mechanismus nach Art. 7 aufgrund der hohen Hürden und potenziell weitreichender Konsequenzen noch nie angewendet wurde. Mit dieser Initiative sorgen Sie dafür, dass Art. 7 auch in Zukunft nicht angewendet werden wird, sondern bereits im Vorfeld relativ willkürlich ein politisches Verfahren ohne formal mögliche Konsequenzen eröffnet werden würde.

Schließlich wollen Sie die Europäische Kommission dazu auffordern, einen entsprechenden politischen Mechanismus zu erarbeiten. In der gegenwärtigen Situation ist die demokratisch schwach legitimierte Europäische Kommission als Teil der Troika jedoch eher eine Bedro­hung europäischer Grundwerte denn Teil ihrer Verteidigung.

Zusammengefasst: Initiativen für mehr Rechtsstaatlichkeit in Europa sind begrüßenswert; die vorliegende Initiative ist es nicht.