Anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Europäischen Sozialcharta erinnert Andrej Hunko an die Bedeutung dieser Europarats-Konvention. Doch während Deutschland Mitte des 20. Jahrhunderts Vorreiter bei derartigen Verträgen war, ist es inzwischen zum Bremser geworden und zögert weiter die Ratifizierung der revidierten Neufassung der Sozialcharta heraus. DIE LINKE wird weiter für die Ratifizierung und Umsetzung kämpfen.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gab mal eine Zeit, in der Deutschland - der Bundestag, die Bundesregierung - bei der Ratifizierung internationaler Sozialverträge Vorreiter war, zum Beispiel bei der Europäischen Sozialcharta in den 1960-er Jahren - 1965 ist sie in Kraft getreten - oder auch bei den ILO-Kernarbeitsnormen; damals war Deutschland Vorreiter. Mittlerweile ist die Bundesrepublik Bremser und Schlusslicht. Das ist eine sehr traurige Entwicklung, die wir deutlich kritisieren müssen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Europäische Sozialcharta und ihre Weiterentwicklung in der revidierten Fassung ist die wichtigste Verankerung sozialer Rechte in einer internationalen Konvention. 1965 ist die Europäische Sozialcharta in Kraft getreten, nachdem Deutschland sie als fünftes Land ratifiziert hatte. Wir hatten vor anderthalb Jahren eine Debatte zum 50. Jahrestag. 1996 ist die revidierte Sozialcharta entwickelt worden, und 1999 ist sie in Kraft getreten. Das ist jetzt fast 20 Jahre her. 2007, 8 Jahre nach Inkrafttreten, hat die Große Koalition von SPD, CDU und CSU diese revidierte Sozialcharta unterzeichnet. Jetzt, wiederum fast 10 Jahre später, ist sie immer noch nicht ratifiziert. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis und das falsche Signal in die Welt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich mir die Begründung anschaue, sehe ich: Es kommt immer das Argument: Wir wollen nicht so wie andere Staaten die Sozialcharta einfach nur ratifizieren - Russland oder Aserbaidschan werden dann als Beispiel erwähnt -, sondern wir wollen sie auch wirklich umsetzen. Aber der Grundgedanke dieser Konvention ist nicht nur die Ratifizierung, sondern auch die Schaffung von Umsetzungsinstrumenten. Dazu gibt es zum Beispiel Zusatzprotokolle wie das Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden. Ich finde, hier sollten wir Vorreiter sein und nicht hinterherhinken, uns nicht hinter anderen Staaten verstecken, in denen zugegebenermaßen die soziale Entwicklung schlechter ist, obwohl sie ratifiziert haben.

Ein weiteres Argument - Sie haben es gebracht, Herr Pätzold - ist das mit dem Beamtenstreikrecht. Auch das kam in der Anhörung zur Sprache. Das Beamtenstreikrecht leitet sich - jedenfalls nach Ansicht des Experten, der da geredet hat - schon aus der ursprünglichen Sozialcharta ab. Es gibt im Augenblick auch entsprechende Prozesse von der GEW, die in diese Richtung gehen. Das hat mit der revidierten Fassung erst einmal nichts zu tun.

Dann kommt als Argument das sogenannte Diskriminierungsverbot. Da frage ich mich, wie man es in 20 Jahren nicht schaffen kann, eine entsprechende Umsetzung in die nationale Gesetzgebung zustande zu bringen. Mir ist das völlig unverständlich. Das ist eine Argumentation, die sowohl von der CDU/CSU als auch von der SPD an den Tag gelegt wurde.

Sie haben vorhin gesagt, Herr Pätzold: Wir können das Kapitel jetzt abschließen. Das werden wir nicht abschließen können. Wenn in dieser Legislaturperiode nicht ratifiziert wird, bleibt die Situation, dass Deutschland unterschrieben hat und irgendwann ratifizieren wird.

Wir werden weiter nerven. Ich denke, es ist gerade in der gegenwärtigen Zeit angesichts der Desintegrationstendenzen, die es gibt und die zum Teil politische Gründe haben, wichtig, dass die sozialen Rechte auf europäischer Ebene gestärkt werden. Die Sozialcharta, ihre revidierte Form und die Zusatzprotokolle sind das wichtigste Instrument. Ich denke, wir sollten sie stärken und hier nicht weiter hinterherhinken.Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)