Rede von Andrej Hunko (MdB DIE LINKE) zu Tagesordnungspunkt 39, 19.05.2017: Historische Verantwortung Deutschlands für die Ukraine

Deutschland hat aufgrund des Vernichtungskriegs der Nazis und des Holocaust eine gewaltige historische Verantwortung gegenüber der Ukraine. Jedoch darf diese Verantwortung nicht zu dem falschen Schluss führen, die Ukraine als Frontstaat in einem neuen Kalten Krieg mit Russland zu etablieren. In dieser Rolle wird das Land zerrissen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über den Antrag der Grünen „Historische Verantwortung Deutschlands für die Ukraine“. Die Linke sagt ganz klar: Ja, es gibt eine historische Verantwortung Deutschlands gegenüber der Ukraine, aber auch gegenüber den anderen Ländern

(Beifall bei der LINKEN)

gegenüber Russland, Belarus, Polen und dem Baltikum.

Die historische Verantwortung ergibt sich in erster Linie aus dem ungeheuerlichsten Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg, den die moderne Geschichte kennt und dem schätzungsweise 27 Millionen damalige Sowjetbürger zum Opfer gefallen sind, darunter neben Millionen Russen auch viele Ukrainer.

Die Erinnerung an dieses Menschheitsverbrechen ist meines Erachtens viel zu wenig ausgeprägt. Die wichtigste Lehre sollte es sein, alles zu tun, um im Osten gegenüber der Ukraine und gegenüber Russland eine Politik des Friedens und des Ausgleichs zu entwickeln. Das wäre historische Verantwortung

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Rolf Mützenich (SPD): Was?)

Aber davon sind wir meilenweit entfernt, und das wissen Sie. Schlimmer ist: Mit der NATO-Osterweiterung, der Durchsetzung des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens und der Unterstützung des verfassungswidrigen Umsturzes im Februar 2014, aber auch durch die entsprechenden russischen Reaktionen auf der Krim und im Donbass wurde die historisch tief zerrissene Ukraine weiter polarisiert.

Bis heute werden die Maidan-Proteste und der folgende Umsturz - das haben wir eben gehört - von der Bundesregierung und auch von den Grünen glorifiziert, obwohl es dort eine starke Hegemonie rechtsnationalistischer Kräfte gab, die sich auf den Nazikollaborateur Bandera bezogen. Sein Bild war überlebensgroß auf dem Maidan zu sehen. Militante Gruppen, die sich auf ihn beziehen, spielten in dieser Entwicklung eine Schlüsselrolle. Hier wäre es historisch verantwortungsvoll gewesen, zu differenzieren, anstatt diese Bewegung, die natürlich nicht nur aus Nazis bestand - das ist klar -, sie spielten aber eine große Rolle, einseitig zu protegieren bis hin zum Besuch des damaligen Außenministers Westerwelle.

Die historische Rolle Banderas und seiner Organisation Ukrainischer Nationalisten wird im Antrag der Grünen trotz einiger Auslassungen beschrieben. Gleichzeitig wird beklagt - das haben wir eben gehört -, Bandera diene der russischen Propaganda als Verkörperung eines ukrainischen Faschismus. Was denn sonst? Bandera und seine Organisation waren glühende Antisemiten sowie Polen- und Russenhasser und an Massakern beteiligt, die Tausende Zivilisten das Leben gekostet haben.

Als Bandera erstmals im Jahre 2010 vom damaligen Präsidenten Juschtschenko zum „Helden der Ukraine“ erklärt wurde, protestierten nicht nur Russland, sondern auch Polen, das EU-Parlament, mehrere jüdische Organisationen sowie natürlich auch zahlreiche Ukrainer gegen diese Entscheidung. Deutsche historische Verantwortung wäre es, diese Kollaboration der OUN, der Organisation Ukrainischer Nationalisten, mit den Nazis aufzuarbeiten und sich ganz unzweideutig von Kräften in dieser Tradition zu distanzieren.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf der Abg. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wie sieht die Lage heute in der Ukraine aus? Darüber wurde gar nicht gesprochen. Vor wenigen Tagen wurden fast alle russischen sozialen Netzwerke in der Ukraine durch einen Erlass von Poroschenko gesperrt - da wäre sicherlich selbst Erdogan vor Neid erblasst -, darunter zum Beispiel das soziale Netzwerk VKontakte, dessen Verbreitungsgrad in der Ukraine mit dem von Facebook in Deutschland vergleichbar ist, und die Suchmaschine Yandex. Diese Sperrung wurde zu allem Überfluss von der NATO begrüßt. Ich habe heute Morgen noch einmal bei der NATO nachgefragt: Die NATO unterstützt diese Sperrung. Ich finde das unerträglich. Frau Beck, das hat doch nichts mit dem Streben nach Freiheit zu tun, wie Sie es hier erzählen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ebenfalls vor einigen Tagen wurde der 25-jährige Denis Kindrat von einem Gericht in Lwiw zu 2,5 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er in den sozialen Netzwerken Lenin-Zitate gepostet hatte. Wo leben wir denn?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Grundlage dafür ist ein Gesetz, das sogenannte Antikommunisierungsgesetz, das die Venedig-Kommission des Europarates sehr deutlich kritisiert hat. Hier wäre statt Schönrederei ein deutliches Wort der Bundesregierung oder auch dieses Parlamentes zu erwarten gewesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will zusammenfassen: Die Ukraine und vor allen Dingen die Bevölkerung in der Ukraine werden als Frontstaat in einem neuen Kalten Krieg keine Zukunft haben. Die Bevölkerung der Ukraine ist ebenso wie die anderen sogenannten Zwischenvölker, die Sie genannt haben, mehr denn je darauf angewiesen, dass es zur Entspannung kommt, dass es zu einem Ausgleich zwischen Ost und West kommt, dass es zu einem guten Verhältnis zu allen Nachbarn kommt. Dafür tritt die Linke ein.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)