Rede von Andrej Hunko zu Protokoll in der Bundestags-Debatte am 7. April 2022 über eine Corona-Impfpflicht

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

meine Damen und Herren,

seit Beginn der Pandemie vor gut zwei Jahren ist immer wieder der Anspruch formuliert worden, der Wissenschaft zu folgen. Auch wenn ich den zugrundeliegenden Gedanken teile, habe ich dieses Mantra immer auch kritisch gesehen. Denn allzu oft wurde es instrumentalisiert, um entgegen existierender Evidenz einen vermeintlichen wissenschaftlichen Konsens in Stellung zu bringen, um politische Entscheidungen zu rechtfertigen. Heute ist bedauerlicherweise wieder ein solcher Tag. Für mich ist klar: Mit wissenschaftlichen Argumenten lässt sich eine Impfpflicht nicht rechtfertigen.

Um es vorwegzusagen, weil bedauerlicherweise so manche im absichtlichen Falschverstehen äußerst begabt sind: Ich betrachte die Impfung gegen Covid-19 für einen wichtigen Baustein zur Bewältigung der Pandemie, bin selbst geimpft und halte die Impfung vor allem für Risikogruppen für empfehlenswert. Die Einführung einer Verpflichtung oder gar eines Zwangs zur Impfung lehne ich jedoch ab und teile die diesbezügliche Ansicht der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von Januar 2021.

Inzwischen ist klar, dass Sars-CoV2 nicht mehr ausgerottet werden kann. Wir werden mit dem Virus leben müssen. Die Existenz effektiver Impfstoffe und Medikamente hilft uns dabei glücklicherweise ungemein. Denn die verfügbaren Impfstoffe bieten zwar keinen absoluten, aber doch einen relevanten Schutz vor schweren Verläufen von Covid-19.

Inzwischen ist aber auch klar, was die Impfstoffe nicht bieten können: einen dauerhaften Schutz gegen Infektion und Übertragung des Virus an andere. Dadurch fällt das Argument des Fremdschutzes aus: Die Impfung dient fast ausschließlich dem Selbstschutz.

Es ist ebenfalls bekannt, dass die Impfstoffe nicht frei von unerwünschten Nebenwirkungen sind und in sehr seltenen Fällen zum Tod führen können. In der Regel mag die objektive Risikoabwägung für eine Impfung sprechen. Angesichts dieser Risiken muss die Impfung aber eine individuelle Entscheidung bleiben. Es ist rechtlich höchst problematisch, wenn der Staat seine Bürgerinnen und Bürger zu einem medizinischen Eingriff zwingt, der in einem – wenn auch sehr kleinen – Teil zu schweren Schäden oder gar dem Tod führen kann.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal daran erinnern, dass alle bislang in Deutschland zugelassenen Impfstoffe gegen Covid-19 weiterhin nur eine bedingte Marktzulassung haben. Auch wenn die Impfungen inzwischen millionenfach verwendet wurden, scheinen den Zulassungsbehörden die vorliegenden Daten nicht für eine Vollzulassung auszureichen. Dies allein verbietet, eine Pflicht zur Impfung einzuführen.

Dass sich möglichst viele Menschen vor einer schweren Covid-19-Erkrankung schützen und dabei vom Staat unterstützt werden, ist ein richtiges Anliegen. Ebenso ist es Aufgabe des Staates, ein gut funktionierendes Gesundheitssystem zu garantieren. Das dafür wichtige Ziel einer hohen Impfquote insbesondere in den Risikogruppen lässt sich allerdings auch mit deutlich milderen Mitteln erreichen. Statt einer Impfpflicht brauchen wir zielgruppenorientierte, aufsuchende niedrigschwellige Angebote. Das Bundesland Bremen, aber auch andere europäische Länder haben vorgemacht, wie man auch ohne Verpflichtung hohe Impfquoten erreichen kann.

Klar ist inzwischen auch, dass das Schreckgespenst eines Zusammenbruchs des Gesundheitssystems bei der Omikron-Variante allenfalls durch zu rigorose Quarantäne-Regeln droht, aber nicht durch die Gefährlichkeit des Virus in einer bereits weitgehend immunisierten Bevölkerung.

An dieser Stelle zeigt sich im Übrigen einmal mehr das Totalversagen der Bundesregierungen in Bezug auf die Datenerhebung. Sowohl die vorherige als auch die aktuelle Regierung haben sich konsequent geweigert, systematisch sinnvolle und repräsentative Daten über den Immunstatus der Bevölkerung zu erheben. So herrscht heute nicht nur Unwissen darüber, wie viele Menschen tatsächlich geimpft sind. Wir wissen auch nicht, wie viele der nicht Geimpften durch Infektionen eine Grundimmunisierung aufweisen.

Hier stellt sich im Übrigen die Frage nach dem Ziel einer Impflicht und sei es nur von über 60jährigen. In dieser Bevölkerungsgruppe sind nach aktuellen Zahlen der Bundesregierung 88,8 Prozent grundimmunisiert und 79 Prozent haben bereits eine Auffrischungsimpfung erhalten. Rechnet man die Dunkelziffer der nicht erfassten Impfungen und die Immunität durch Infektionen hinzu, dann dürften über 95 Prozent der am meisten gefährdeten Bevölkerung bereits immunisiert sein. Dass die verbleibenden fünf Prozent durch eine Impfpflicht erreicht werden können ist fragwürdig. Ebenso fragwürdig ist, ob dies überhaupt notwendig ist. Denn diese Gruppe wird angesichts der Omikron-Variante wohl kaum das deutsche Gesundheitssystem in die Knie zwingen können.

Zum Abschluss möchte ich kurz auf einen Aspekt eingehen, der meines Erachtens in der Debatte viel zu wenig vorkommt. Es geht mir um die Frage, was im Angesicht einer gefährlichen Pandemie eigentlich die Aufgabe des Staates ist. Diese sehe ich darin, den Menschen zu ermöglichen, sich vor dem neuen Krankheitserreger zu schützen und im Falle einer Erkrankung die bestmögliche gesundheitliche Betreuung zu bieten. Ich sehe es aber nicht als Aufgabe des Staates an, in dieser Phase der Pandemie Menschen zu schützen, die gar nicht geschützt werden wollen. Zumindest nicht, wenn das Gesundheitssystem als Ganzes nicht gefährdet ist. Deshalb muss es die Entscheidung eines und einer jeden Einzelnen sein, sich impfen zu lassen oder nicht.

Sehr geehrte Damen und Herren, eine Impfpflicht stellt weitreichenden Eingriff in die Grundrechte dar, insbesondere in das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Ein solcher Eingriff kann gerechtfertigt sein, wenn er verhältnismäßig ist. Weder ist diese Verhältnismäßigkeit in der vorliegenden Situation gegeben, noch gibt es eine wissenschaftlich haltbare Begründung. „Follow the Science“ muss deshalb in diesem Fall heißen: Sagen Sie nein zur Einführung einer Impfpflicht.

Vielen Dank.