Rede von Andrej Hunko in der Bundestags-Debatte am 22. Juni 2022 über eine EU-Perspektive für die Staaten des westlichen Balkans

2003 wurde den Staaten des Westbalkans eine europäische Perspektive angeboten. Heute, 19 Jahre später, ist die Bilanz äußerst ernüchternd. Auch der vorliegende CDU-Antrag enthält wenig Neues und lässt jede soziale Dimension vermissen.

https://youtu.be/YfAu4cG9_QY

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahre 2003 wurde in Thessaloniki dem Westbalkan eine europäische Perspektive angeboten - mit großen Worten, wie man feststellt, wenn man sich die Beschlüsse noch einmal anschaut. Das ist jetzt 19 Jahre her. Wie sieht die Situation aus? Wir haben Beitrittsverhandlungen mit Serbien und Montenegro. Albanien und Nordmazedonien warten seit vielen Jahren auf ihren Kandidatenstatus, der ja von der Europäischen Kommission empfohlen wurde.

(Zuruf des Abg. Christian Petry (SPD))

Für Kosovo und Bosnien ist noch gar kein Kandidatenstatus in Sicht. Das ist die Realität. Man muss sagen: Es ist eine äußerst ernüchternde Bilanz, die bisher vorzuweisen ist.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf des Abg. Gunther Krichbaum (CDU/CSU))

Schauen wir mal, wie es zum Beispiel in Serbien ist. Serbien hat 2009 den Beitrittswunsch geäußert. 2012 sind die Verhandlungen eröffnet worden. Heute sind 2 von 35 Kapiteln abgeschlossen.

(Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Mehr als die Hälfte offen!)

Das wird nichts mehr in diesem Jahrhundert, wenn man in diesem Tempo weitermacht.

Ein Punkt dabei ist, glaube ich, dass die soziale Dimension in den ganzen Beitrittsverhandlungen keine Rolle spielt. Wir haben ja die Kopenhagener Kriterien. Die Linke sagt: Wir sind für die politischen Kriterien von Kopenhagen, für Rechtsstaatlichkeit, für Demokratie, für Menschenrechte.

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))

Aber wir sehen die ökonomischen Kriterien sehr kritisch. Sie führen in diesen Ländern eben auch zu Sozialabbau, zu Deindustrialisierung. 71 Prozent der jungen Menschen in den sechs Ländern erwägen gegenwärtig die Auswanderung. 71 Prozent! Das ist die bittere Realität.

Die CDU/CSU legt hier einen Antrag vor, der aus meiner Sicht ziemlich unstrukturiert ist. Da sind handwerkliche Fehler drin. Die Punkte 23 und 28 doppeln sich. Dann fehlt ein Komma, sodass man meinen könnte, das Freedom House gehöre zum US State Department. Also, man müsste den Antrag noch einmal überarbeiten. Aber in diesem Antrag fehlt auch jede soziale Dimension. Es fehlt auch eine Auseinandersetzung damit, dass beispielsweise jetzt Serbien mit Albanien und Nordmazedonien den Open Balkan gestartet hat, also eine regionale Integration aus Enttäuschung über die EU. Auch das müsste meines Erachtens diskutiert werden und Gegenstand des Antrags sein.

Ich teile, dass Bulgarien ermutigt werden soll - das möchte auch der neue Ministerpräsident Petkov -, diese irre Blockade bezüglich Nordmazedonien aufzugeben. Ich finde auch den französischen Vorschlag richtig, das sozusagen im weiteren Prozess zu machen. Aber insgesamt muss man sagen, dass die bisherige Bilanz für den Westbalkan sehr schlecht ist. Ich sehe in diesem Antrag auch keine wirklich grundlegende Erneuerung.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)