Rede von Andrej Hunko in der Bundestags-Debatte am 11. Mai 2023 zum Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs des Europarats in Reykjavik

Der Europarat muss in seinen Kernkompetenzen gestärkt werden, zu denen Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehören. Jedoch darf er nicht für geopolitische Interessen instrumentalisiert werden. Für Fragen des Völkerrechts sind OSZE und UNO besser geeignet. Auf der Agenda des vierten Gipfels des Europarates in Reykjavík stehen neue sehr wichtige Europaratskonventionen für Menschenrechte und Umwelt, Menschenrechte und Künstliche Intelligenz sowie die bessere finanzielle Ausstattung des Europarates. Der ursprünglich zum Gipfel anvisierte Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention des Europarates ist seit über einem Jahrzehnt überfällig.

https://youtu.be/ZcHLuoKTwHQ

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Europarat wurde am 5. Mai 1949 aus den Erfahrungen zweier schrecklicher Weltkriege gegründet. Er war die erste europäische Reaktion auf diese Kriege, und es ist gut, dass jetzt endlich - wir haben das lange gefordert - wieder ein Gipfel stattfindet - in Reykjavík, mit mehr als 40 Staats- und Regierungschefs -, um den Europarat aufzuwerten.

Der Europarat basiert auf Konventionen - die wichtigste Konvention ist die Europäische Menschenrechtskonvention, etwa in Analogie zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO - und hat die Besonderheit, dass es einen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gibt, bei dem jeder Mensch nach den Regeln des Europarates ein Individualklagerecht hat. Das ist wirklich eine Errungenschaft, die unbedingt verteidigt und gestärkt werden muss.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

„Jeder Mensch“ heißt: auch Flüchtlinge im Mittelmeer. Es gab auch entsprechende erfolgreiche Klagen, Hirsi, Äthiopien beispielsweise. „Jeder Mensch“ heißt aber auch: Auch Julian Assange, der schon über vier Jahre in Belmarsh schmort, hat das Recht, in Straßburg zu klagen, wenn der Weg durch die britischen Instanzen durchlaufen ist. Und es ist gut, dass es solch eine übergreifende Organisation gibt.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Freiheit für Julian Assange!)

- Ja, Freiheit für Julian Assange!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das hat auch übrigens die Parlamentarische Versammlung des Europarates zweimal gefordert, ebenso wie die Menschenrechtskommissarin des Europarats die Nichtauslieferung gefordert hat. Das ist schon etwas Besonderes und unterscheidet sich auch ein bisschen von entsprechenden Äußerungen aus der EU.

Der Europarat führte lange Zeit ein Schattendasein. Über viele Jahre wurden die Mittel des Europarates eingeschränkt; die AfD will sie offenbar noch weiter einschränken. Es gab lange Zeit ein sogenanntes nominales Nullwachstum, was sozusagen den Erstickungstod einer solchen Organisation hervorruft. Mittlerweile hat sich da die Meinung geändert - vielleicht auch durch den Austritt von Großbritannien aus der EU -, und man erkennt: Es ist nicht nur die EU, die als Gremium der europäischen Integration wichtig ist, und es ist sehr dringend notwendig, dass die Mittel des Europarates erhöht werden. Dazu gehören auch die Mittel des Gerichtshofes oder die Mittel des Anti-Folter-Komitees, einer einzigartigen Organisation, die in jedes Gefängnis in Europa gehen kann, usw. usf. Das ist dringend notwendig, und es ist gut, dass dieser Weg jetzt eingeschlagen wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

In Reykjavík steht außerdem die Entwicklung weiterer Konventionen auf der Tagesordnung. Wir begrüßen das. Den Gedanken, den Umweltschutz als Menschenrecht aufzuwerten, halten wir für sehr wichtig, ebenso die dringende Notwendigkeit der Erarbeitung einer internationalen Konvention in puncto künstliche Intelligenz. Das sind die wichtigen Aufgaben.

Es ist eben schon angesprochen worden: Es ist eigentlich ein Skandal, dass die EU nach 13, 14 Jahren immer noch nicht der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten ist. Auch das sollte auf den Weg gebracht werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es wird im Augenblick noch durch einen Mitgliedsstaat verschleppt. Aber auch das wäre eine Aufwertung. Es wäre auch eine Aufwertung des Gerichtshofes, auch mit Blick auf die eben schon genannten Länder, die den Gerichtshof im Augenblick schwächen wollen, die Türkei und Großbritannien. Also, das wäre sehr, sehr wichtig.

Was ich als problematisch ansehe, ist, dass im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der natürlich sehr deutlich verurteilt wurde und wegen dem Russland auch ausgeschlossen wurde bzw. eine halbe Stunde vor dem Ausschluss ausgetreten ist - -

(Frank Schwabe (SPD): Nein, ist es nicht! Der Ausschluss gilt rechtlich!)

- Okay, wie auch immer. - Was ich trotzdem problematisch finde, ist, dass der Europarat zunehmend geopolitisch überlagert wird. Ich sehe diese Tendenz. Wir haben gerade die Debatte zum Kosovo und den Beitrag von Herrn Kuhle zum Kosovo gehabt. Ich finde, der Europarat sollte sich auf seine Kernkompetenzen beschränken: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN)

Stark völkerrechtliche Statusfragen - das war lange auch die Linie zum Kosovo - sind besser bei der UNO oder auch bei der OSZE aufgehoben.

(Zuruf des Abg. Konstantin Kuhle (FDP))

Aber das Niveau, der Standard von Menschenrechten, von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sollte eigentlich die Kernkompetenz des Europarates sein. Er ist, wie gesagt, nach den Erfahrungen zweier Weltkriege gegründet worden, und ich finde: Auch die Diskussion darüber, wie man aus dem aktuellen Krieg herauskommt, müsste eine größere Rolle spielen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Christian Petry (SPD) und Max Lucks (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))