Persönliche Erklärung der Abgeordneten der Gruppe BSW nach §31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Abstimmung über den Antrag von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP mit dem Titel „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ (20/13627):
Die Gruppe BSW im Deutschen Bundestag setzt sich für den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland ein. Wir verurteilen den terroristischen Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023. Wir bekräftigen das Selbstverteidigungsrecht Israels, sehen aber zugleich, dass das Vorgehen der in Teilen rechtsextremen Regierung von Benjamin Netanyahu im Gazastreifen wie auch im West-Jordanland und im Libanon nichts mit einer legitimen Selbstverteidigung zu tun hat.
Den antisemitischen Angriffen in Deutschland muss mit allen Mitteln des Rechtsstaates entgegengetreten werden. Die Bekämpfung des Antisemitismus ist sowohl Aufgabe von Polizei und Justiz wie auch gesamtgesellschaftliches Anliegen. Die Fraktionen der SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP haben dazu einen Antrag vorgelegt, der allerdings die demokratische Pflicht zur Bekämpfung des Antisemitismus hintertreibt. Statt auf einen demokratischen Konsens zu orientieren, versuchen Ampel-Fraktionen und Union die notwendige Diskussion über die Abgrenzung von Antisemitismus und Kritik an der israelischen Regierungspolitik jetzt administrativ zu entscheiden. Wie viele Kommentatoren und Wissenschaftler kritisiert beispielsweise auch der Journalist Stephan Detjen vom 3. November 2024 im Deutschlandfunk: „Grundlage einer staatlich gelenkten Antisemitismusbekämpfung in Wissenschaft, Kultur und Medien soll die sogenannte IHRA-Definition sein. Sie wird von der israelischen Regierung propagiert, weil sie vor allem dazu dient, Kritik an israelischer Kriegsführung und völkerrechtswidriger Besatzung zu delegitimieren.“
Wir teilen die Sorge von Prof. Ralf Michaels (Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht), Jerzy Montag (Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof), Prof. Armin Nassehi (Ludwig-Maximilian-Universität), Prof. Andreas Paulus (Richter a.D. am Bundesverfassungsgericht), Prof. Miriam Rürup (Direktorin des Moses Mendelsohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam) und Prof. Paula-Irene Villa Braslavsky (Ludwig-Maximilian-Universität), die einen Gegenentwurf vorgelegt haben und darauf hinweisen, dass „das Grundgesetz staatlicher Regulierung in grundrechtsintensiven Bereichen wie Kunst und Wissenschaft bewusst enge Grenzen setzt und stattdessen bei der Bekämpfung menschenverachtender Ideologien wie dem Antisemitismus auf die Eigenverantwortung der Gesellschaft sowie ihrer Teilbereiche vertraut“ (FAZ, 23.10.2024).
Die Gruppe BSW im Deutschen Bundestag bedauert und kritisiert, dass die antragstellenden Fraktionen der SPD, Grünen, FDP und Union die so genannte Jerusalem-Erklärung, die von namhaften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern 2021 erarbeitet wurde und eine sehr viel präzisere Definition des Antisemitismus vorschlägt, nicht berücksichtigt haben.
Die Ampel-Fraktionen wie die Union lassen sich mit ihrem Text stattdessen vor den Karren der Regierung Netanyahu spannen, mit dem Ziel, Kritik an den Völkerrechtsbrüchen der israelischen Regierung zum Schweigen zu bringen. International isolieren Koalitionsfraktionen und Union Deutschland mit diesem Antrag weiter, weil sie etwa die Klage Südafrikas und der vielen Staaten des globalen Südens gegen Israel wegen Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen vor dem Internationalen Gerichtshof unter Antisemitismusverdacht stellen, wie etwa auch die Forderung von 52 Staaten, bei den Vereinten Nationen ein Waffenembargo gegen Israel zu verhängen angesichts der Tötung von mehr als 42.000 Palästinensern in Gaza, rund 70 Prozent davon Frauen und Kinder.
Der Text der Ampel-Fraktionen und der Union unterstellt potenziell allen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats mit Ausnahme der USA wie auch der großen Mehrheit der UN-Generalversammlung Antisemitismus bei ihrer Kritik an der israelischen Regierung. Unverantwortlich ist, dass der vorliegende Antrag der Bevölkerung Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens pauschal antisemitische Einstellungen attestiert.
Ampel-Fraktionen und Union machen sich mit ihrem Antrag zum Komplizen der Verbrechen der Regierung Netanyahu. Ausgerechnet im Land des Holocausts erhebt man sich moralisch über den Rest der Welt und erklärt diesen zu Antisemiten.
Die Regierungsfraktionen und die Union isolieren Deutschland international und eröffnen zugleich einen Rahmen für Angriffe auf das Grundgesetz, insbesondere auch auf die Kunst-, Wissenschafts-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Menschenrechtsorganisationen außerhalb, aber auch in Israel selbst müssen befürchten, wegen ihrer Kritik an der Regierung Netanyahu ihre Förderung zu verlieren.
Die Gruppe BSW im Deutschen Bundestag setzt sich für die entschiedene Bekämpfung des Antisemitismus ein. Den Antrag der Ampel-Fraktionen und der Union müssen wir allerdings ablehnen. Die Bekämpfung des Antisemitismus darf sich nicht als Schutzschild für die Völkerrechtsbrüche einer anderen Regierung missbrauchen lassen.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht setzt sich für einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an Israel wie auch einen umgehenden Waffenstillstand ein. Die Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlandes durch Israel müssen beendet werden wie auch die völkerrechtswidrigen Annexionen Ost-Jerusalems und der Golan-Höhen.
Unser politisches Ziel ist eine Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines unabhängigen palästinensischen Staates. Palästinenserinnen und Palästinensern darf ihr Selbstbestimmungsrecht nicht unter dem Vorwurf des Antisemitismus verwehrt werden, das wäre eine politische Fehlleistung gravierenden Ausmaßes.
Dr. Sahra Wagenknecht
Christian Leye
Jessica Tatti
Amira Mohamed Ali
Andrej Hunko
Ali Al-Dailami
Klaus Ernst
Zaklin Nastic
Alexander Ulrich