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Rede im Bundestag am 9.3.2012 zum Arbeitsprogramm der EU-Kommission

Im Arbeitsprogramm der EU-Kommission werden die relevanten europapolitischen Entwicklungen – das sind Fiskalpakt, ESM und die „Hilfspakete“ nicht benannt, obwohl die Kommission hier eingebunden ist. Fiskalpakt und ESM stellen zwei Seiten eines Paradigmenwechsels in der Europäischen Union dar und sollen demnächst ratifiziert werden. Die Linksfraktion fordert hierüber ein Referendum wie in Irland und unterstützt den Widerstand in allen europäischen Ländern.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über das Arbeitsprogramm der EU-Kommission. Es ist symptomatisch, dass wir die Diskussion über dieses Arbeitsprogramm mehrfach verschoben haben, obwohl in der Zwischenzeit weitreichende Entscheidungen auf europäischer Ebene und hier im Bundestag gefällt wurden, die wie der Kollege Link richtigerweise gesagt hat einen Paradigmenwechsel in der Europäischen Union bedeuten.

Ich meine unter anderem das Griechenland-Paket, das wir am vorletzten Montag in einer Sondersitzung des Bundestags verabschiedet haben. Es ist nichts anderes als ein Programm des Sozialabbaus und führt zu sozialer Verelendung in Griechenland. So wird der Mindestlohn um 22 Prozent bei jungen Menschen sind es sogar 32 Prozent gesenkt. Ich weiß nicht, wer die 750 Seiten, auf denen dieses Paket dargelegt wird, tatsächlich gelesen hat. Wer es aber getan hat, weiß, dass unter anderem die Gesundheits-ausgaben in Griechenland auf 6 Prozent des ohnehin schrumpfenden Bruttoinlands-produktes bei uns dagegen sind es 11 Prozent gedeckelt werden.

Die EU-Kommission ist in Form der Troika zusammen mit IWF und EZB an dem Paket für Griechenland genauso beteiligt wie an den Paketen für Portugal und Irland. Aber dazu finden wir nichts im Arbeitsprogramm der EU-Kommission, ebenso wenig wie zum sogenannten Fiskalpakt, der am vergangenen Donnerstag bzw. Freitag in Brüssel beschlossen wurde. Auch daran ist die EU-Kommission beteiligt. Es handelt sich zwar um einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen 25 Ländern, der aber die EU-Kommission einbindet. Aber auch dazu finden wir nichts im Arbeitsprogramm der EU-Kommission, genauso wenig wie zur Einrichtung des ESM, der die andere Seite der gleichen Medaille ist. Man kann sagen: Der Fiskalpakt ist die Peitsche, während der ESM das vermeintliche Zuckerbrot ist. Fiskalpakt und ESM gehören zusammen. An beidem ist die EU-Kommission beteiligt. Auch dazu finden wir nichts.

Ich will trotzdem ein paar Worte zu diesem Arbeitsprogramm selbst sagen. Insgesamt ist es von der EU-2020-Strategie geprägt, einer Fortsetzung der gescheiterten neoliberalen Lissabon-Strategie aus dem Jahre 2000. Entsprechend kritisch sehen wir dieses Arbeitsprogramm.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt ein paar wenige positive Elemente, zum Beispiel den Vorschlag zur Ausgestaltung der Finanztransaktionsteuer. Es gibt darin aber auch Sätze wie den folgenden - ich zitiere:

Eine umfassende Reform der Regulierung und Beaufsichtigung der Finanzmärkte hat das Finanzsystem der EU auf eine solide Grundlage gestellt.

Man fragt sich: Wo leben die Autoren denn? (Otto Fricke (FDP): In Europa!)

Haben sie etwa nicht den letzten Halbjahresbericht der EZB gelesen, in dem es beispielsweise heißt, dass das Finanzsystem der Euro-Zone so stark gefährdet ist wie seit 2008 nicht mehr.

Ist denn in Europa die Finanztransaktionsteuer eingeführt? Sind Hedgefonds verboten worden? Sind die Giftpapiere verboten worden? Ist das Kasino geschlossen worden? All das hat nicht stattgefunden. (Otto Fricke (FDP): Haben diese Staaten aufgehört, sich zu verschulden? Ich weiß, das ist für Sie unwichtig! Mannomann!)

Die Europäische Kommission spricht hier von der Regulierung der Finanzmärkte, und die hat eben nicht stattgefunden.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir stehen europapolitisch vor sehr weitreichenden Entscheidungen. Der Fiskalpakt ist zwar unterzeichnet worden, aber noch nicht ratifiziert. Der ESM steht vor der Verabschiedung. Meine Erfahrung mit dieser Bundesregierung ist, dass sie Argumenten sehr wenig zugänglich ist. Deswegen wende ich mich hier auch an die irische und die französische Bevölkerung:

I want to address the Irish people: You have the chance to vote on the fiscal treaty, a possibility that is denied to us here in Germany and is denied to hundreds of millions of Europeans. I appeal to you to use this opportunity wisely. Please study the fiscal treaty carefully and reject it. (Beifall bei der LINKEN - Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also, das muss auch auf Gälisch kommen! Oder Esperanto!)

Ich wende mich auch an die französische Bevölkerung. Sie hat nämlich in der Präsidentschaftswahl die Möglichkeit - (Zurufe)

Jetzt werden einige hier ganz aufgeregt. (Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Britischer Imperialismus hier von der Linkspartei! - Lachen bei der LINKEN)

Ja, jetzt werden einige hier ganz aufgeregt. Die französische Bevölkerung hat bei der Präsidentschaftswahl die Möglichkeit, zumindest Sand in das Getriebe dieses Fiskalpaktes zu streuen. Ich appelliere auch an die französische Bevölkerung, sehr genau hinzuschauen, welcher Präsidentschaftskandidat welche Position dazu vertritt, und sich dagegen zu wenden, dass wir ein austeritäres und autoritäres - in Frankreich sagt man „Une Europe autoritaire et austeritaire“ Europa bekommen.

Eines ist klar - das sage ich immer am Ende:

Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein.

Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN - Otto Fricke (FDP): Bonne chance!)