Auch nach fünf Jahren des Kampfes warten die Opfer der Repression von San Salvador Atenco in Mexiko noch immer auf Gerechtigkeit. Am 3. und 4. Mai 2006 war es in dem mexikanischen Ort zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Straßenhändler/innen und der Polizei gekommen. In diesem Zuge wurden auch mehrere Polizist/innen vorübergehend festgehalten. Die Polizei und das Militär stürmten daraufhin den Ort und gingen mit äußerster Gewalt gegen die Zivilist/innen vor. Das Ergebnis: Zwei Menschen wurden getötet, über 200 verletzt und eine große Zahl verhaftet. Von 47 festgenommenen Frauen erstatteten 26 Anzeige wegen sexueller Folter. Weil die juristische Aufarbeitung in Mexiko nicht voran kam, schalteten im Jahr 2008 Betroffene mit Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) ein.

Doch auch nach fünf Jahren ist noch immer niemand zur Verantwortung gezogen worden. Aus diesem Grund habe ich einen an den mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón gerichteten Offenen Brief unterzeichnet, damit die mexikanischen Behörden endlich die Aufarbeitung der Geschehnisse voranbringen. Auch der deutsche Bundespräsident Christian Wulff befindet sich zur Zeit in Mexiko. In einem Schreiben habe ich ihn aufgefordert, den Fall Atenco in den Gesprächen mit seinem mexikanischen Amtskollegen zu thematisieren.

 

Hier der offene Brief an den mexikanischen Staatspräsidenten Felipe Calderón:

Sehr geehrter Herr Präsident,

durch die Unterschriften wollen wir unsere tiefe Besorgnis bezüglich der Gräueltaten zum Ausdruck bringen, die sich am 3. und 4. März 2006 in der Nähe von Texcoco und San Salvador Atenco im Rahmen eines Einsatzes der Polizei ereignet haben. Das Ergebnis des Einsatzes waren zwei ermordete junge Menschen, 207 Festnahmen; davon 47 Frauen von denen 26 angezeigt haben, während des Einsatzes von der Polizei sexuell gefoltert worden zu sein.

Diesbezüglich sind wir in Kenntnis, dass die gravierenden Menschenrechtsverletzungen gegen die Zivilbevölkerung weder bestraft noch entschädigt worden sind. Insbesondere empört uns, dass die Frauen von Anfang an Polizisten und verschiedene andere Autoritäten als Verantwortliche für die sexuelle Gewalt und Folter angezeigt haben und trotzdem keiner der Funktionäre dafür zur Rechenschaft gezogen wurde. Einige wurden sogar noch befördert und die Untersuchungen sind ins Stocken geraten.

Es ist sehr besorgniserregend, dass 11 Frauen sich an internationale Instanzen, wie der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) wenden mussten, während der mexikanische Staat den Verlauf der Prozesse vor der Kommission bewusst bremst, um nicht seine Verantwortung in dem Fall von Atenco zu übernehmen.

Deswegen fordern wir den mexikanischen Staat auf,

Andernfalls wird den staatlichen Sicherheitskräften auch weiterhin ein Anreiz geschaffen, sexuelle Gewalt als Form der Repression gegen Frauen anzuwenden.

Schließlich wollen wir unsere Solidarität und Anerkennung gegenüber den Frauen ausdrücken, die es nicht zulassen als unsichtbare Opfer gesehen zu werden und die nicht aufhören, gegen die Straflosigkeit und das Vergessen zu kämpfen. Wer sich für das was in Atenco geschah schämen muss, sind die Täter, die Befehlsgeber, sowie diejenigen, die ihnen Straflosigkeit garantieren.