Entgegen des Titels des Koalitionsvertrags wagt die Ampel-Koalition keinen Fortschritt – weder innen- noch außenpolitisch.

Für Deutschland hat die neue Bundesregierung in spe – abgesehen von einer längst überfälligen Mindestlohnerhöhung und der Cannabis-Legalisierung – keine glaubwürdigen progressiven Pläne vorzuweisen. Die von allen beteiligten Parteien versprochene steuerliche Entlastung der Mittelschicht bleibt aus, die menschenrechtsverachtende Hartz-IV-Sanktionspraxis bleibt auch unter neuem Namen erhalten. Und statt einer Investionsoffensive in Bildung, Infrastruktur und Klimaschutz soll es weiterhin ein starres Festhalten an der fortschrittshemmenden und aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht längst überholten Schuldenbremse geben.

Aber auch außen- und europapolitisch setzen SPD, Grüne und FDP äußerst besorgniserregende Akzente und versprechen statt Abrüstung und Dialog eine noch stärkere Militarisierung Deutschlands und Europas. Die Ampel hält am Zwei-Prozent-Ziel der NATO fest, auch wenn sie diese geschickt hinter einem neuen Drei-Prozent-Ziel für internationales Handeln zu verstecken versucht. Dies wird nicht nur aus der Formulierung („NATO-Verpflichtungen erfüllen“) deutlich, sondern ergibt sich auch mathematisch (0,7% für Entwicklungszusammenarbeit, 2% für Militär, Rest für Auswärtiges Amt).

Die Ampel macht zudem deutlich, dass sie die nukleare Teilhabe nicht beenden will. Vom Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, vor über 10 Jahren vom Bundestag beschlossen, ist keine Rede. Die Ampel strebt zwar – abstrakt – ein atomwaffenfreies Deutschland an, ist aber nicht bereit, bei der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrages als Mitglied dabei zu sein, sondern lediglich unverbindlich als Beobachter. Auslandseinsätze der Bundeswehr werden nicht grundsätzlich infrage gestellt, ebenso wenig Rüstungsexporte. In der politischen Auseinandersetzung mit Ländern wie Russland und Belarus setzt die mutmaßlich zukünftige Bundesregierung weiterhin auf das Instrument Wirtschaftssanktionen und droht, diese weiter zu verschärfen – trotz ihrer erwiesenen Wirkungslosigkeit und der wirtschaftlichen Schäden für die Zivilbevölkerung. Es ist zudem zu erwarten, dass die neue Bundesregierung, ebenso wie die alte, bei ihrer Positionierung gegenüber autoritär regierten Staaten mit zweierlei Maß messen wird: Während im Koalitionsvertrag klare Forderungen (und Sanktionsdrohungen) an Russland und Belarus enthalten sind, belässt man es im Hinblick auf den NATO-Partner Türkei bei vorsichtiger Kritik.

Auch die finanz- und handelspolitischen Europapläne der Ampel sind alles andere als fortschrittlich und können geradewegs zu einer neuen Krise in der EU führen. Auch nach dem Ausscheiden der CDU/CSU aus der Regierung bleibt das deutsche Dogma der restriktiven EU-Haushaltspolitik unangetastet. Damit werden die Hoffnungen auf einen ökonomischen progressiven Kompromiss mit Frankreich und den Ländern der südlichen und östlichen Peripherie enttäuscht und die ökonomische, soziale und klimapolitischen Entwicklungsperspektive verbaut. Während die USA und China in die Modernisierung ihrer Infrastruktur investieren, spart sich die EU zu Tode. In der EU-Sozialpolitik sind keine Fortschritte geplant, zugleich sollen aber Integrationsschritte und eine enge Koordinierung in der EU-Militär- und Rüstungspolitik weiter vorangetrieben werden. Mit neuen Kompetenzen der EU, der Einschränkung der Mitbestimmung der kleinen Länder und vor allem mit mehr Geld für Aufrüstung. Diese Prioritätensetzung ist völlig unangemessen und schädlich für den Zusammenhalt in Europa.

Neben luftigen Bekenntnissen zum Europäischen Bundesstaat bleibt es letztlich in der Substanz bei einem politischen Bündnis für die unternehmerische Freiheit auf dem europäischen Binnenmarkt im Dienste des deutschen und internationalen Kapitals, bei dem soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit auf der Strecke bleiben. Der „European Green Deal“ wird an manch anderer Stelle des Koalitionsvertrags erwähnt, aber im Kapitel zu Europa steht dazu nichts. Die soziale Absicherung der notwendigen sozial ökologischen Transformation fehlt ebenso wie Vorschläge für die notwendige Finanzierung für den Umbau der Wirtschaft.

Dem Europarat wird im Gegensatz zur EU seitens der Ampel-Koalition wenig Beachtung geschenkt – obwohl dieser als wirklich gesamteuropäische Institution mit insgesamt 47 Mitgliedsstaaten eine gute Gelegenheit für Dialog und Zusammenarbeit zwischen allen europäischen Ländern bietet. Zwar ist es begrüßenswert, dass im Koalitionsvertrag die Absicht festgehalten wurde, „die Institutionen und die Arbeitsfähigkeit des Europarates [zu] stärken“. Jedoch lassen die zukünftigen Regierungsverantwortlichen jegliche Details zur konkreten Umsetzung dieses löblichen Vorhabens vermissen. Der Halbsatz, man wolle den Europarat „gegen alle Schwächungsversuche autoritärer Europaratsmitglieder verteidigen“ lässt zudem vermuten, dass die zukünftige deutsche Regierung den Europarat weniger als Plattform für gleichberechtigten und konstruktiven Dialog, sondern eher als Instrument für zusätzliche Konfrontationen mit Nicht-EU-Staaten zu nutzen versuchen wird.

Insgesamt lässt sich somit leider festhalten, dass unter einer Ampel-Regierung kein mutiger Aufbruch im Sinne einer progressiven Europapolitik zu erwarten ist. Die wenigen positiven Aspekte – wie z.B. das Versprechen, eine „Möglichkeit des visafreien Reiseverkehrs aus Russland nach Deutschland für besonders wichtige Zielgruppen, zum Beispiel junge Menschen unter 25“ zu schaffen, werden wir als Linksfraktion im Bundestag kritisch begleiten und auf ihre rasche Umsetzung pochen.