susaLiebe FreundInnen des S21-Widerstands in Stuttgart,

erfreut habe ich der Webseite der „Parkschützer“ entnommen, dass ihr an dem „Forum gegen unnütze Großprojekte“ im italienischen Susa-Tal teilnehmen möchtet. Ich war vor wenigen Wochen selbst in Chiomonte und Venaus und konnte mir ein Bild über die dortige Lage und den Widerstand gegen den „Treno ad Alta Velocità“ (TAV) des „NO TAV“-Netzwerkes machen.

Sehr beeindruckt hat mich die Vielfalt der Proteste, die nach meinem Eindruck von einem breiten Spektrum von BewohnerInnen, LokalpolitikerInnen und UmweltaktivstInnen getragen werden, aber auch auf AntimilitaristInnen der Kämpfe um den NATO-Flughafen in Vicenza wie auch „Militante“ (im italienischen Sprachgebrauch) aus den Sozialen Zentren Norditaliens nicht verzichten möchte.

Ihr dürftet wissen, dass sowohl die Betreiber der neuen Bohrungen wie auch die Polizei und Teile der Presse nach den erfolgreichen Protesten im Juni und Juli versucht hatten, die neuen heftigen Proteste als gewalttätig zu delegitimieren und damit zu spalten. Erfreulicherweise haben sich die sich die NO-TAV-AktivistInnen hiervon nicht beeindrucken lassen. Die Bürgermeister des Tals haben zu Beginn der Bohrungen sogar einen „Krisenstab“ der Kommunalverwaltungen eingerichtet, um der Bevölkerung im Falle von Repression beizustehen.

Mit Italcoge steht gerade eines der beteiligten Bauunternehmen vor der Pleite. Dennoch dürfte absehbar sein, dass Polizei und Carabinieri auch weiterhin versuchen, die Arbeiten mit Wasserwerfern, Prügel und dem massivem Einsatz von Tränengas durchzusetzen. Mehrere Personen sind diesen Sommer bereits schwer verletzt worden, besonders durch den gezielten Beschuss mit Gasgranaten. Einem Angehörigen des NO-TAV-Netzwerks wurde damit – als er Fotos machte - ins Gesicht geschossen, was ihm einen doppelten Kieferbruch und mehrere Wochen im Krankenhaus eintrug. Nicht nur hier musste ich daran denken, wie sich die Bilder von Polizeigewalt zur Durchsetzung monströser Großprojekte in Stuttgart wie Chiomonte gleichen.

Im Bundestag bin ich Mitglied des Ausschusses für Angelegenheiten der EU, desweiteren in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Daher wage ich zu beurteilen, wie wichtig eine europäische Vernetzung unter AktivistInnen ist: Eine beträchtliche Zahl von politischen Entscheidungen werden über die Ebene der Europäischen Union lanciert, erst recht wenn sie auf nationalstaatlicher Ebene ansonsten nur gegen heftigen Widerstand in der Bevölkerung durchsetzbar wären. Gegenwärtig wird der erneute Versuch des Weiterbaus der Hochgeschwindigkeitsbahnlinie Turin-Lyon von Premierminister Berlusconi durch einen sonstigen Wegfall von EU-Subventionen begründet. Tatsächlich stehen die Bauarbeiten im Maddalena im Kontext des transeuropäischen „Verkehrskorridor 5 Kiev – Lissabon“, der privilegierte Reisende ohne Rücksicht auf eine negative Energiebilanz durch Europa befördern will – auch dies eine deutliche Parallele zu euren Kämpfen in Stuttgart.

Oft kommt die EU-weite Vernetzung von Basisinitiativen gegen EU-Vorgaben erst in die Gänge, wenn Würfel in Brüssel – meist ohne Wahrnehmung der Öffentlichkeit und damit ohne ausreichende demokratische Legitimierung - längst gefallen sind. Jedoch zeigt das Beispiel der Auseinandersetzungen um die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, dass es möglich ist die Entscheidungen zu kippen oder doch zumindest einer öffentlichen Debatte zu unterziehen. Allzu oft können sich dann aber Hardliner oder scheinbare Mediatoren des Establishments durchsetzen, die sich wie im Falle Berlusconis zudem über eine beträchtliche Einflussnahme auf die Medienlandschaft freuen können.

Ich wünsche euch also eine erfolgreiche Reise und hoffe, dass ihr mit kreativen Ideen, vor allem aber einem vollen Adressbuch aus dem rauen, aber widerständigen Susa-Tal zurückkommt. Ich würde mich freuen, über eure weitere Vernetzung mit italienischen, aber auch französischen, spanischen und anderen AktivistInnen auf dem Laufenden zu bleiben. Auf meine Unterstützung könnt ihr dabei gern zählen: „Giù le mani dalla Val di Susa!“ („Hände weg vom Susa-Tal!“; Slogan der AktivistInnen des Susa-Tals).

Herzlichst

Andrej Hunko, Mitglied des Bundestags