„Wenige Wochen vor den Revolten in Tunesien und Ägypten hat die Bundesregierung Geheimpolizeien beider Länder in der Überwachung des Internet ausgebildet. Das zuständige Bundeskriminalamt ist dadurch mitverantwortlich für Misshandlungen, Folterungen und Morde an Aktivist/innen durch die damaligen Machthaber Ben Ali und Mubarak“, kritisiert der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. Der Parlamentarier reagiert damit auf die Antwort der Bundesregierung auf seine Anfrage zur Internetüberwachung und dem Abhören von Telekommunikation in Ländern des Arabischen Frühlings.
Das Bundeskriminalamt (BKA) hat in mehreren arabischen Ländern Lehrgänge mit den Titeln „Open Source Internetauswertung“, „lnternetkriminalität“ und „Finanzermittlungen“ durchgeführt. Zu den begünstigten Regierungen gehören Algerien, Marokko, Jordanien und Saudi-Arabien. Gleichlautende Ausbildungsmaßnahmen in Tunesien und Ägypten wurden noch im Oktober und November 2010 abgehalten und werden nun teilweise wieder aufgenommen.
Andrej Hunko weiter:
„Die Maßnahmen richteten sich offiziell gegen ‚Terrorismus‘. Bekanntlich ist dies aber ein politischer, dehnbarer Begriff. Die durch das BKA erlangten Kenntnisse dürften auch zur Niederschlagung von digitalem Dissens genutzt worden sein.
In Ägypten waren digitale Aktivistinnen und Aktivisten einem hohen Risiko ausgesetzt. Die Repression von Militär und Polizei gipfelte im Mord an Chaled Mohammed Said, der nach schweren Folterungen starb. Die Bundesregierung muss erklären, inwiefern ihr Lehrgang ‚Open Source Internetauswertung‘ dem mittlerweile aufgelösten Staatssicherheitsdienst bei der Verhaftung des bekannten Bloggers geholfen hat. Er wurde nach seinem Tod zu einer Symbolfigur der Revolution.
Die Internetzensur in Tunesien gehörte zu den schärfsten weltweit: Unerwünschte Seiten waren gesperrt oder per ‚Spoofing‘ mit falschen Inhalten versehen worden. Mailpostfächer wurden überwacht, der Verkehr von Datenpaketen mit Deep Packet Inspection-Verfahren ausgeforscht. Etliche Menschen wurden wegen politisch missliebiger Aktivitäten verhaftet.
Die tunesische Internetbehörde erhielt halbfertige Vorab-Versionen westlicher Hersteller von Überwachungstechnologie, um diese für den europäischen Markt zu testen. Tunesische und marokkanische Behörden wurden auch von der Bundesregierung mit ‚Ausstattungshilfen‘ beschenkt; bereits 2007 lieferte das BKA die Analysesoftware ‚i2 Analyst's Notebook‘ der Firma IBM.
Kürzlich erfuhr ich vom Auswärtigen Amt, dass die Bundesregierung eine umfangreiche ‚Transformationspartnerschaft‘ mit Tunesien abgeschlossen hat. Deutsche Geheimdienste, die Bundespolizei und das BKA sind seit dem Frühjahr 2012 mit ‚Ausbildungsmaßnahmen‘ vor Ort. Wie bereits unter Ben Ali geht es vorgeblich um eine Bekämpfung von ‚Terrorismus‘. Den umworbenen Polizeien und Geheimdiensten werden aber weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
Ich fordere die Bundesregierung auf, die Projekte des Bundeskriminalamtes, der Bundespolizei und deutscher Geheimdienste in Tunesien umgehend zu stoppen. Das Gleiche gilt für alle Maßnahmen im Bereich Internetüberwachung und dem Abhören von Telekommunikation in den besagten arabischen Ländern.
Die Bundesregierung muss endlich ihren Kurs ändern und sich mit einer internationalen Politik für ein offenes, freies Internet profilieren. Die Interessen ihrer Geheimdienste und Polizeien, aber auch der Hersteller von Überwachungstechnologie müssen dahinter zurückstehen“.
Download der Antwort der Bundesregierung zur Anfrage „Ausbildung in Ländern des Arabischen Frühlings zu neuen Ermittlungstechniken, zur Internetüberwachung und zum Abhören von Telekommunikation“: http://www.andrej-hunko.de/start/download/doc_download/320-ausbildung-in-laendern-des-arabischen-fruehlings-zu-neuen-ermittlungstechniken-zur-internetueberwachung-und-zum-abhoeren-von-telekommunikation
Download der früheren Antwort auf die Mündliche Frage zur Zusammenarbeit von Bundespolizei, Verfassungsschutz und BND mit Tunesien: http://www.andrej-hunko.de/start/download/doc_download/302-muendliche-frage-zur-zusammenarbeit-von-bundespolizei-verfassungsschutz-und-bnd-mit-tunesien