Innerhalb von zehn Jahren haben deutsche Ermittlungsbehörden zur Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) über 20 Millionen Datensätze aus Funkzellenabfragen zusammengetragen. In fast 14.000 Fällen wurden die Bestandsdaten, also Namen und Adressen der Anschlussinhaber von Kommunikationsgeräten ermittelt.

Es dürfte sich dabei abermals um eine Datensammlung von größtenteils Menschen mit Migrationshintergrund handeln. Dies war auch der Hintergrund meiner Frage.

Offensichtlich werden sämtliche Informationen weiterhin gespeichert. Doch die Antwort der Bundesregierung ist unpräzise: Ich wollte wissen, welche Daten von der sogenannten „BAO Bosporus“ vor dem Auffliegen des NSU erhoben und verarbeitet wurden.

Die nun mitgeteilte Zahl scheint sich auf die gesamten Taten zu beziehen, die erst jetzt dem NSU zugerechnet werden. Ich gehe aber davon aus, dass die meisten Daten wegen dem damaligen Festhalten an einer vermeintlichen Täterschaft aus dem migrantischen Spektrum angehäuft wurden.

Denn von der „BAO Bosporus“ wurde vor allem wegen vermeintlichen Schutzgelderpressungen und Drogengeschäften türkischer oder kurdischer Vereinigungen ermittelt. Wie wir heute wissen, handelte es sich dabei um eine rassistisch stigmatisierende Zuschreibung: Den Behörden fehlte der Wille zum Blick nach rechts - offensichtlich bewusst. Entsprechende Hinweise von Angehörigen der Toten wurden beispielsweise nicht weiter verfolgt.

Die Mordserie des NSU wird von den Innenministerien des Bundes und der Länder überdies zum Anlass genommen, den Polizeiapparat weiter digital aufzurüsten. Die Erkenntnisse aus Funkzellenabfragen werden computergestützt analysiert. Software entwirft ein mehrdimensionales Bild von Verdächtigen und ihren Beziehungen zu Personen, Objekten und Tathergängen. Die Anwendungen verknüpfen diese Ergebnisse überdies mit auffälligen Finanztransaktionen, Hotelbuchungen oder Mietwagennutzungen.

In meinen Augen ist dies bereits eine Rasterfahndung. Vermutlich haben die Landeskriminalämter Zuge von Ermittlungen der damaligen „BAO Bosporus“ Dutzende richterliche Beschlüsse für ein derartig automatisiertes Profiling erlangt.

Leider wollte mir der Staatssekretär Ole Schröder meine Frage nach der Zahl der Datensätze nicht beantworten, die in die Rasterfahndungen eingebunden werden. Ich gehe aber davon aus, dass sich diese ebenfalls im mehrstelligen Millionenbereich bewegen.

Dass sich dieser tiefgehende polizeiliche Eingriff in die Privatsphäre vermutlich vor allem gegen Bekannte der migrantischen Opfer des NSU gerichtet hat, macht mich wütend.

Jene Anschlussinhaber, die im Zuge der rassistisch stigmatisierenden polizeilichen Ermittlungen festgestellt wurden, müssen davon unterrichtet werden. Denn deren Bestandsdaten wurden nur deshalb von den Mobilfunkanbietern abgefragt, weil sie als „verdächtig“ galten.

Doch es geht mir nicht explizit nicht nur um Funkzellenabfragen: Auch wenn millionenfach Datensätze aus Finanztransaktionen, Hotelbuchungen oder einer Mietwagennutzung per Rasterfahndung analysiert werden, müssen die Betroffenen darüber Kenntnis erlangen.

Mit der Kriminalisierung von Antifaschismus und Antirassismus befördert der Inlandsgeheimdienst, der sich den Tarnnamen Verfassungsschutz gibt, die rechten Umtriebe. Im Kampf gegen Gruppierungen wie den NSU helfen die Speicherung der Telekommunikation auf Vorrat ebensowenig wie Funkzellenabfragen und Rasterfahndungen. Es fehlt der konsequente Blick nach rechts – und die ersatzlose Abschaffung des Verfassungsschutzes.

Andrej Hunko

 

Download der Antwort der Bundesregierung auf die Verarbeitung von „Massendaten“, Funkzellenabfragen und Rasterfahndungen der „BAO Bosporus“: http://www.andrej-hunko.de/start/download/doc_download/255-massendaten-funkzellenabfragen-und-rasterfahndung-der-bao-bosporus