Dokumentation eines Artikels von Andrej Hunko in der "Solidarität - Sozialistische Zeitung"

Der isländische Weg galt vielen Linken in Europa als Vorbild in der Krise - in Teilen auch für mich. Der Rechtsruck bei den Wahlen im April ist eine schwere Niederlage für die sozialdemokratisch-linksgrüne Regierung. Trotz vieler positiver Entwicklungen ist die linkeste Regierung während der Krise in Europa an ihrer mangelnden Konfliktbereitschaft mit den internationalen Kreditgebern und der EU gescheitert. Insbesondere die Zustimmung zum Icesave-Deal und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zur EU haben der isländischen Rechten den Raum für populistische Kampagnen eröffnet, die letztlich griffen.

Island war im Jahre 2008 weltweit das Land, das am stärksten von der Bankenkrise getroffen wurde. Grund war die extreme Deregulierung und Überblähung des eigenen privatisierten Bankensektors, der zum Zeitpunkt des Kollapses die isländische Wirtschaftsleistung um mehr als das neunfache überstieg. International galt Island als ‚failed state‘, als gescheiterter Staat. Der damalige griechische Finanzminister George Papaconstantinou sagte im Dezember 2009 „Griechenland ist nicht Island“, um zu zeigen, das die Situation in seinem Land nicht so schlimm ist.

Als Reaktion auf den Zusammenbruch kam es in Island im Winter 2008/2009 zu heftigen Protesten der isländischen Bevölkerung, der so genannten Kochtopf-Revolution. Das Parlament wurde belagert und die neoliberal-konservative Regierung Geir Haarde, die zu Recht für das Spekulations-Kartenhaus verantwortlich gemacht wurde, musste zurück treten und Neuwahlen ausrufen. Es waren die heftigsten Proteste in Island seit 60 Jahren – seit der Bewegung gegen den NATO-Beitritt.

Bei den Neuwahlen im April 2009 kam es zum stärksten Linksruck seit Jahrzehnten: Während die Sozialdemokraten knapp 30% der Stimmen erhielten, erreichte die ‚Linksgrüne Bewegung‘ 21,7% und damit ihr bestes Ergebnis in der Geschichte. Politisch sind die Linksgrünen zwischen der deutschen LINKEN und den deutschen Grünen einzuordnen. Die isländische Sozialdemokratie war als einzige isländische Partei für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zur EU und machte das als Bedingung für die Regierungsbeteiligung. Die Zustimmung der Linksgrünen sollte sich als schwerer Fehler erweisen. Nicht nur, dass die Kapazitäten der Regierung einer gerade mal 320.000 Menschen zählenden Insel stark gebunden wurden. Zudem wuchs im Zuge des EU-Krisenregimes die Entfremdung der isländischen Bevölkerung von einer Beitrittsperspektive – zuletzt waren mehr als 2/3 dagegen. Das konnten die Rechten im Wahlkampf ausnutzen. Da half es auch nichts mehr, dass die Regierung kurz vor den Wahlen die Beitrittsverhandlungen auf Eis legte.

Ähnlich verhielt es sich beim so genannten Icesave-Streit: Hierbei handelte es sich um eine private Internet-Bank mit Sitz in Island, die vor dem Bankenzusammenbruch meist britische und niederländische Anleger mit hohen Zinsen gelockt hatte. Nach der Pleite entschädigte die niederländische und britische Regierung die Anleger und forderte dafür 3,8 Milliarden Euro von Island, was umgerechnet 11.000 pro Kopf bedeutet hätte. Nach heftigen Debatten im isländischen Parlament stimmte die Mehrheit einem ausgesprochen schlechten deal der Regierung mit Großbritannien und den Niederlanden zu, während ein Viertel der Bevölkerung eine Petition an den Präsidenten einreichte, diesen nicht zu unterzeichnen. Olafur Grimsson verweigerte tatsächlich die Unterschrift mit den Worten: „Wenn Demokratie und Finanzmärkte gegeneinander stehen, muss man sich für die Demokratie entscheiden“. Bei dem nach isländischer Verfassung zwingenden Referendum stimmten 93,2% gegen das Abkommen, das die isländischen Steuerzahler auf Jahrzehnte schwer belastet hätte. Es kam schließlich zu neuen Verhandlungen und einem neuen Abkommen mit besseren Konditionen. Wieder stimmten Regierung und Parlament zu, wieder verweigerte der Präsident die Unterschrift, wieder gab es ein Referendum, bei dem 57% der Bevölkerung erneut Nein sagten. Schließlich beschloss der EFTA-Gerichtshof im Januar 2013 in einem bedeutenden Präzedenzurteil, dass Island gar nicht verpflichtet gewesen wäre, die niederländischen und britischen Anleger auszuzahlen. Im Klartext: Die linke Anti-Banken-Regierung hatte also versucht einen deal auf Kosten der isländischen Bevölkerung durchzusetzen, der selbst im Rahmen bürgerlich-kapitalistischer Regeln gar nicht notwendig war.

Diese beiden zentralen Fehler der isländischen Regierung ermöglichten es der konservativen Rechten sich als wahre Vertreter isländischer Interessen darzustellen und die Wahlen zu gewinnen. Da half es dann auch nichts, dass die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in vielerlei Hinsicht besser war, als in vergleichbaren Krisenstaaten. Stichworte dieser vergleichsweise besseren Entwicklung als etwa in Griechenland, Portugal, Irland oder jetzt Zypern sind Verzicht auf Bankenrettung um jeden Preis, Kapitalverkehrskontrollen, Abwertungsmöglichkeit der eigenen Währung und ein progressives Steuersystem. In entscheidenden Fragen musste dieser Weg jedoch durch Proteste und direktdemokratische Mittel gegen die eigene Regierung durchgesetzt werden. Bitter nur, dass am Ende genau diejenigen davon profitierten, die das Land in die Krise geführt hatten.