«Das Ganze ist ein militärisches Projekt, das auf permanenter Aufrüstung basiert»

Interview mit dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko, MdB DIE LINKE

Zeitgeschehen im Fokus Was ist Pesco, an dem sich unsere Vorsteherin des Verteidigungsdepartements beteiligen will?

Bundestagsabgeordneter Andrej Hunko Pesco steht für «permanent structured cooperation», auf Deutsch «ständige strukturierte Zusammenarbeit». Das hört sich zunächst ganz gut an, wird aber weitestgehend militärisch definiert, d. h. Zusammenarbeit im militärischen Sektor.

Seit wann gibt es das?

Das wurde mit dem Lissabon- Vertrag 2009 eingeführt und beinhaltet die Möglichkeit, für einen Teil der EU-Staaten militärisch voranzuschreiten. Das bedeutet, die militärischen Provokationen zu verstärken mit gemeinsamen Übungen und gemeinsamen Beschaffungsprojekten etc. DIE LINKE hat damals gegen den Lissabon-Vertrag gestimmt und gegen die angestrebte Militarisierung geklagt. Ich war damals als Mitarbeiter eines Abgeordneten im Europaparlament, von 2007 bis 2009, zu der Zeit, als das entwickelt wurde. Ich war auch im zuständigen Sicherheits- und Verteidigungsausschuss, dem SEDE, Security and Defence, und habe die Diskussionen hautnah mitbekommen.

So richtig bekannt ist das eigentlich nicht.

Ja, das hat auch erst einmal eine Zeitlang geruht. Der Lissabon-Vertrag trat 2009 in Kraft. Vor vier Jahren haben dann 25 von 27 EU-Staaten beschlossen, Pesco zu aktivieren, um eine gemeinsame Militärunion zu schaffen, was letztlich die Vorstufe einer europäischen Armee bedeutet. Zwei Staaten haben nicht mitgemacht, das waren Dänemark und Malta. 

Warum die beiden Staaten nicht?

Das geschah aus nationalen Zwängen heraus, die es gegeben hatte, so durften sie sich nicht daran beteiligen. Man war überrascht, dass es gelungen ist, dermassen viele Staaten daran zu beteiligen. Auch Staaten, von denen man es nicht erwartet hat, wie z. B. Irland oder Zypern haben sich dieser Initiative angeschlossen.

Was macht denn dieses Pesco konkret?

Darin ist eine permanente Aufrüstung festgehalten. Die Staaten müssen jedes Jahr ihre Ausgaben für das Militär erhöhen und führen eine verstärkte Zusammenarbeit in Rüstungsprojekten. Begründet wird das immer damit, dass man nicht so viele unterschiedliche Waffensysteme entwickeln wolle. Man wolle Synergien schaffen etc. Das klingt zunächst noch ganz vernünftig, aber eigentlich müsste es darum gehen, weniger zu rüsten bzw. langfristig abzurüsten. Aber es geht in eine ganz andere Richtung, die Militärausgaben sollen jedes Jahr steigen.

Wie geschieht das?

Es gibt diverse kleinere Übungs- und Beschaffungsprojekte zwischen den verschiedenen Staaten. Im Endeffekt geht es um ein automatisiertes Aufrüstungsprojekt mit dem Ziel der Bildung einer europäischen Armee. Dieses Projekt wird schmackhaft gemacht, indem man argumentiert, dadurch von der Nato unabhängiger zu werden.

Dieses Argument hört man auch in der Schweiz. Es sei etwas Europäisches.

Das ist Augenwischerei. Es gibt eine ganz enge Verzahnung zwischen der Nato und der EU, auch Pesco und Nato sind sehr eng miteinander verzahnt. Pesco wird auch nicht als Alternative aufgebaut. Man sagt zwar, man wolle von den USA unabhängiger werden, aber es geht nur darum, dieses Projekt besser zu verkaufen. DIE LINKE kritisiert das, seit Pesco im Lissabon-Vertrag festgelegt ist, weil es ganz klar ein Militarisierungsprojekt ist. Das führt zu einer Militarisierung der EU, die sich ursprünglich immer als ziviles Projekt verkauft hat. Z. B. sollen keine militärischen Güter aus dem EU-Haushalt bezahlt werden.

Was soll dann die Aufgabe dieser Pesco sein? Verteidigung der Grenzen oder Verteidigung der Sicherheit der EU am Hindukusch? Mit anderen Worten Out-of-Area-Einsätze?

Offiziell soll sie eingebettet sein in die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP). Aber die konkrete Praxis sieht ja so aus, dass es um weltweite Militäreinsätze geht. Der Angriff auf Afghanistan wurde mit der Verteidigung der USA begründet. In Deutschland propagierte der ehemalige Verteidigungsminister Struck die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch. Die ganze Welt wird sozusagen zum Gebiet erklärt, in dem sich die einzelnen Staaten «verteidigen» sollen. Es geht in erste Linie nicht um Verteidigung, sondern um weltweite Interventionsfähigkeit und -tätigkeit.

In der Schweiz stösst es immer auf Widerstand, wenn man das Land militärisch anbinden will, deshalb argumentiert das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport damit, dass es interessante «zivile Projekte» gebe, an denen sich die Schweiz beteiligen könnte. Ist das so?

Ich will es nicht ausschliessen, dass es dabei auch Bereiche gibt, die zivil sind. Aber es ist ganz klar, Pesco beinhaltet zwei Bedingungen. Erstens, die Mitgliedstaaten müssen ihre militärischen Fähigkeiten weiterentwickeln, was an der tatsächlichen Aufrüstung gemessen wird. Dabei geht es um die Summe, die die Staaten dafür ausgeben und die konkrete Anzahl von Waffen. Zusätzlich sollten die Staaten in die Lage kommen, durch schnelle Eingreiftruppen – Battlegroups genannt – in 5 bis 30 Tagen weltweit einsatzfähig zu sein. Das Ganze ist ein militärisches Projekt. Dass es in solchen militärischen Projekten auch zivile Aufgaben gibt, die für sich genommen selbst sinnvoll sein können, will ich nicht ausschliessen. Der Einsatz der Bundeswehr bei der Flutkatastrophe vom letzten Sommer ist ja nicht zu kritisieren, wenn in der konkreten Situation Hilfe geleistet wird. Letztlich ist es aber die falsche Struktur, denn dafür gibt es eigentlich das Technische Hilfswerk. Da gibt es Helikoptertrainings, die man vielleicht auch zivil einsetzen kann, das kann schon sein. Es geht aber vor allem darum, die Akzeptanz zu stärken, denn Pesco ist ein militärisches Projekt, das auf permanenter Aufrüstung basiert.

Also keine Option für die Schweiz?

Ich kann nur davor warnen, dass die Schweiz daran teilnimmt. Sie sollte ihre Neutralität und dadurch bestehende Vermittlungsmöglichkeiten pflegen. Für mich war die Situation in Georgien sehr beeindruckend. Als ich während einer Wahlbeobachtung im Land war, habe ich erfahren, dass die gesamte diplomatische Kommunikation zwischen Russland und Georgien über die Schweizer Botschaft läuft. So etwas geht natürlich nur, wenn man als neutraler Staat wahrgenommen wird, und das ist etwas sehr Wichtiges. In einer zunehmend polarisierten Welt braucht es glaubwürdige Vermittler, die helfen können, Gräben zu überwinden und Konflikte zu entschärfen. Die Schweiz wäre so ein Land, wenn sie ihre Neutralität nicht leichtfertig verspielt.

Herr Bundestagsabgeordneter Hunko, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser