Aktuelle Stunde "Humanitäre Katastrophe an der türkisch-syrischen Grenze – Nach dem militärischen Aufmarsch des IS" auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE.
http://youtu.be/_sPVvVfTnaU
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fabritius, Sie sprachen von der Wurzel des Übels, die angegangen werden muss. Diese Auffassung teilen wir. Wir diskutieren darüber, wie diese Wurzel angegangen werden muss. Was ich aber nicht akzeptieren kann, ist, dass die notwendige Flüchtlingshilfe, die wir auch hier leisten müssen, dem gegenübergestellt wird, das gegeneinander ausgespielt wird. Das ist angesichts der Situation beschämend.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Gegenwärtig ist die Verteidigungsministerin von der Leyen in Arbil, um die Waffenübergabe an die kurdischen Peschmerga zu überwachen. Es ist Ihre Politik, liebe Kollegen von der Bundesregierung, die die Kurden in gute Kurden und schlechte Kurden einteilt. Die Peschmerga werden mit Waffen beliefert. Gleichzeitig gibt es keine ernsthafte Stellungnahme Ihrerseits zu der Situation an der türkisch-syrischen Grenze. Ich würde mir wünschen, dass ein Vertreter der Bundesregierung jetzt konkret zu dieser türkisch-syrischen Grenze fährt, um sich die Lage vor Ort anzuschauen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir sprachen von der Wurzel des Übels. Herr Fabritius, der IS, der sogenannte IS - ich mag den Begriff auch nicht -, ist eine Erscheinungsform des Übels, aber nicht die Wurzel. Die Wurzel liegt in jahrzehntelanger kolonialer und imperialer Politik in dieser Region, besonders in Kriegen und da folgte ein Krieg nach dem anderen, im Irakkrieg 1991, im Irakkrieg 2003 mit Hunderttausenden Toten. Einige Truppenverbände des IS rekrutieren sich aus den sogenannten Revolutionsgarden von Saddam Hussein, die aus diesem Krieg hervorgegangen sind.
(Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Wie reißen wir dann die Wurzel raus? - Manfred Grund (CDU/CSU): Das ist eine gute Erklärung, warum Köpfe abgeschlagen werden!)
Die Wurzel des Übels liegt auch in der Politik, die in den letzten Jahren, leider auch vom Westen, in Syrien gemacht wurde.
(Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Wo ist die Lösung?)
Man war richtig besessen davon, Assad zu stürzen, und hat gar nicht mehr hingeschaut, welche Kräfte in Syrien unterstützt worden sind, darunter auch dschihadistische Kräfte.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Wer im Westen hat denn Dschihadisten unterstützt?)
Selbst in der Türkei wird das offen diskutiert. Ich will gar nicht mit dem Finger darauf zeigen; ich zitiere jetzt einfach einen türkischen Journalisten. Er schreibt:
Das Duo Tayyip Erdogan Ahmet Davutoglu hat regelrechte „Geburtshilfe“ bei der Geburt des „Islamischen Staats“ an der gesamten Südgrenze zu unserem Land geleistet...
Ich will einfach nur, dass die Bundesregierung klar sagt: Diese Unterstützung muss aufhören.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir reden über die Flüchtlinge aus der Region Rojava in Syrien. Das ist eine Region, die sich in den letzten drei Jahren weitgehend selbst verwaltet hat, in demokratischer Selbstverwaltung, wo der Versuch unternommen wird, alle Ethnien und Religionen der Region in einem demokratischen Prozess einzubeziehen. Es ist ein hochspannender Prozess. Für mich ist es einer der Hoffnungsschimmer in der Region. Ich glaube, dieser Prozess sollte anerkannt und auch international diskutiert werden; denn er könnte ein Modell sein für ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Ethnien und Religionen in der Region.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch da würde ich mir wünschen, dass das vonseiten der Bundesregierung klar benannt wird.
Wir hatten vor wenigen Wochen die Situation am Berg Schengal, wo Einheiten der syrischen Kurden, der YPG, zusammen mit der PKK Zehntausenden Jesiden das Leben gerettet haben. Wir hatten gleichzeitig in Deutschland die Gesetzeslage, dass die PKK verboten war, während zu dem Zeitpunkt der sogenannte Islamische Staat noch erlaubt war. Es kam auf Demonstrationen zu der absurden Situation, dass Fahnen des „Islamischen Staats“ erlaubt waren, während die Polizei bei Fahnen der PKK einschreiten musste. Ich glaube, dass diese Politik der Kriminalisierung eines Teils der Kurden aufhören muss. Ich denke, das PKK-Verbot muss überprüft werden. Auch die Listung der PKK auf der EU-Terrorliste müssen überprüft werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Es gibt sehr konkrete Handlungsempfehlungen der Kurden in Deutschland, konkret des kurdischen Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit, was die Situation an der Grenze angeht. Ich glaube, diese kann man unterstützen.
Es geht um die vollständige Öffnung des Grenzübergangs Mürsitpinar für die grenzüberschreitende Nothilfe. Es geht um die Unterbindung der Grenzübertritte für IS-Mitglieder und Dschihadisten, die sich dem IS anschließen wollen. Es geht um die Unterstützung aller kurdischen Gruppen, nicht nur bestimmter kurdischer Gruppen. Es geht um die Anerkennung der demokratisch-autonomen Verwaltungen in Rojava. Es geht um die Ausweitung der humanitären Hilfe. Ich unterstütze natürlich auch die Forderung, dass wir in dieser akuten Situation mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen.
Einen letzten Punkt will ich noch ansprechen. Meine Kollegin Heike Hänsel war am Wochenende vor Ort. Ich bitte alle Vertreter der anderen Fraktionen und der Bundesregierung, auch zur Grenze zu fahren und sich die Situation vor Ort anzuschauen. Nicht alle Informationen, die wir hier bekommen, entsprechen den wirklichen Ereignissen vor Ort.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)