Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Rede im Bundestag am 05.02.2015 zum Tagesordnungspunkt "Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission"

Der Ausgang der Wahlen in Griechenland ist ein demokratischer Aufschrei. Die Krisenpolitik in der EU ist gescheitert. Länder die sich in einer Depression befinden dürfen nicht weiter ausgequetscht werden. Der Zwang die Gesundheitsausgaben in Griechenland auf unter 6 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu senken, gleicht der Verordnung einer humanitären Katastrophe. Auch in Griechenland muss der Augiusstall ausgemistet werden. Die Rolle Tsipras ist die von Herakles oder Herkules.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Seif!

Sie können Länder, die sich mitten in einer Depression befinden, nicht immer weiter ausquetschen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Worte von Präsident Obama – Sie stehen doch sonst immer stramm, wenn er etwas sagt – sollten Sie sich wirklich einmal zu Herzen nehmen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben eben gesagt, das Problem in Griechenland seien nicht die Programme, sondern es gebe nur innergriechische Probleme.

(Der Redner hält ein Schriftstück hoch)

Wissen Sie noch, was das ist? Im Januar 2012 beschlossen wir im Bundestag in namentlicher Abstimmung das zweite Griechenlandpaket. Ich will Ihnen einmal vorlesen, was darin steht: Die Regierung führt die Umsetzung der 2010 eingeleiteten umfassenden Reform des Gesundheitssystems fort mit dem Ziel, die öffentlichen Gesundheitsausgaben ... auf oder unter 6 Prozent des BIP zu halten.

Was heißt das? Bei uns in Deutschland betragen die Gesundheitsausgaben 11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Griechenland ist gezwungen worden, die Gesundheitsausgaben auf unter 6 Prozent zu senken. Es sind jetzt nach Lancet 4,7 Prozent und nach Angaben der griechischen Regierung nur noch 3,5 Prozent. Das heißt, es ist ein katastrophales Programm. Über 30 Prozent haben keine Krankenversicherung mehr. Krankheiten sind neu ausgebrochen. Das ist Ausquetschen. Das muss aufhören. Ich fordere die Bundesregierung auf, der neuen griechischen Regierung eine Chance zu geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Ich möchte Sie jetzt etwas fragen, Herr Kollege Hunko: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sarrazin?

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Bitte schön.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Sarrazin.

Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Kollege Hunko, zunächst: Wir haben im Bundestag nicht das Memorandum beschlossen.

(Beifall der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Bundestag haben wir Einvernehmen hergestellt, die Kredite auszuzahlen. Unserer Fraktion war es immer sehr wichtig, zu betonen: Das Memorandum wurde von der griechischen Politik beschlossen, und der Bundestag gibt sein Einvernehmen dafür, dass die Kredite ausgezahlt werden können. Das heißt, hier zuzustimmen, ist immer ein Akt der Solidarität mit Griechenland gewesen.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Oh ja! Sehr solidarisch! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Augen aufmachen!)

Hier abzulehnen, kann unterschiedlich interpretiert werden.

Zum Gesundheitssystem. Sie haben total recht, dass das Gesundheitssystem in Griechenland in einer sehr schlechten Lage ist und dass wir bereit sein müssen, Geld auszugeben, um es zu verbessern. Ich glaube nur, dass Sie in Ihren Redebeiträgen verpassen, zu erwähnen, dass das Gesundheitssystem in Griechenland schon vor der Krise in einer schlechten Lage war

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gabriele Groneberg [SPD]: In einer desolaten Lage!)

– mit den pro Kopf höchsten Ausgaben in ganz Europa, ohne dabei effizient zu sein oder dass Fakelaki abgestellt worden wäre –,

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber Syriza war es nicht!)

dass das Gesundheitssystem durch die Krise erst recht in eine schlimme Lage gekommen ist und dass man beides machen muss: Geld dafür ausgeben, aber auch Strukturreformen angehen. Das fehlt mir in Ihren Debattenbeiträgen zum Gesundheitssystem. In dem gleichen Programm ist festgeschrieben worden, dass eine Gesundheitsreform durchgeführt wird,

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Stell doch mal eine Frage! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Er muss noch ein bisschen aufklären!)

in deren Rahmen erstmals in der Geschichte Griechenlands eine Primärversorgung eingeführt werden soll. Ich fände es toll, wenn wir gemeinsam dafür streiten würden, dass die Troika und die Bundesregierung Griechenland mehr Zeit lassen, diese Primärversorgung aufzubauen.

(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist aber nicht gemacht worden! Es gibt keine Primärversorgung in Griechenland! – Gegenruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja! – Weiterer Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Die gab es noch nie!)

– Wissen Sie, Herr Kollege: Die Primärversorgung wird im Rahmen der griechischen Gesundheitsreform auf den Weg gebracht. Dass die griechische Regierung bisher nicht genug gemacht hat, um die Gesundheitsreform anzugehen und endlich Hausärzte einzuführen, ist natürlich ein Mangel. Deutschland und die Troika müssen mehr darauf drängen, dass das geschieht. Aber man kann die griechische Politik nicht aus der Verantwortung lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Polikliniken sind geschlossen worden! Sie haben ja überhaupt keine Ahnung! Das ist das Problem!)

Ich denke, es könnte eine große Chance sein, dass Herr Tsipras das endlich angeht. Aber dann müssen Sie Herrn Tsipras auch in die Pflicht nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe nicht die Hoffnung, dass Herr Kammenos auf der Seite derjenigen stehen wird, die diese Reformen wollen. – Das war eine Zwischenbemerkung; danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist absurd! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: In einer Woche? – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dieser Redebeitrag disqualifiziert sich ja selber!)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Jetzt hat überwiegend der Kollege Hunko das Wort.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Ich will auf den ersten Teil Ihrer Bemerkung eingehen, Herr Sarrazin, nämlich auf die Frage: Worüber haben wir damals eigentlich abgestimmt? Sie sagten, wir hätten nur über Kredite abgestimmt und nicht über die Memoranden bzw. die Programme.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, so ist das!)

Das ist falsch.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt!)

Die Kredite waren untrennbar verbunden mit den Memoranden – das haben wir auch damals gesagt –, die offensichtlich auch Sie ablehnen. Diese Memoranden haben die Situation in Griechenland immer weiter verschlimmert und das Land in eine humanitäre Krise geführt.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Alternative wäre gewesen, kein Geld zu zahlen!)

Wenn Sie abgewartet hätten: Ich hätte auch noch etwas dazu gesagt, welchen Anteil Griechenland selbst daran hat. Der Kollege Seif hat sich eben der griechischen Mythologie bedient und von Sisyphos gesprochen. Die Situation ist aber eine andere. Wir haben es in Griechenland mit einem Augiasstall zu tun,

(Beifall bei der LINKEN)

mit einem Augiasstall, für den Ihre Schwesterparteien Pasok und Nea Dimokratia verantwortlich sind. Wir sind sehr wohl dafür, diesen Augiasstall aufzuräumen. Die Rolle von Tsipras ist nicht die von Sisyphos, sondern die von Herakles oder, wie er immer genannt wird, Herkules.

(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Herr Kammenos ist wer?)

Dieser Augiasstall muss endlich ausgemistet werden. Das muss in Griechenland passieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu dem Investitionsplan von Juncker sagen. Immerhin tut Juncker so, als ob erkannt wurde: Das Problem in der Euro-Zone ist ein Investitionsproblem. Wir brauchen eigentlich öffentliche Investitionsprogramme. Aber das Programm, das jetzt aufgelegt wurde – der Kollege hat es eben schon gesagt –, ist Voodoo-Ökonomie. Da werden 21 Milliarden Euro öffentlicher Steuergelder zusammengeklaubt, dann soll das Geld 15-fach gehebelt werden, und private Investitionen sollen damit induziert werden. Wenn Verluste gemacht werden, werden diese aus öffentlichen Geldern bezahlt; es gibt also eine Risikoabsicherung. Diese Politik der Sozialisierung von Verlusten und der Privatisierung von Gewinnen lehnen wir ab.

(Beifall bei der LINKEN – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)

Der Ausgang der Wahlen in Griechenland und die Entwicklung in anderen südeuropäischen Ländern sind ein demokratischer Aufschrei, der deutlich macht, dass die bisherige Krisenpolitik in der Europäischen Union gescheitert ist. Wir sollten diesen demokratischen Aufschrei ernst nehmen und nutzen, um zu dem zu kommen, was Herr Spinrath eben gesagt hat: zu einem sozialen Europa. Die Hände der griechischen Regierung sind ausgestreckt. Ich denke, wir sollten sie ergreifen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

 

Quelle: Plenarprotokoll 18/85 vom 05.02.2015

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko