Rede von Andrej Hunko anlässlich der Ratifizierung der Assoziierungsabkommen zwischen der EU einerseits und der Ukraine, Georgien bzw. Moldawien andererseits
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Außenminister!
Der renommierte US-amerikanische Politologe John Mearsheimer hat in seinem vielbeachteten Aufsatz „Putin reagiert“ die Verantwortung für den Konflikt in der Ukraine vor allen Dingen dem Westen zugeschoben. Er benennt zwei zentrale Gründe dafür: erstens die NATO-Osterweiterung, zweitens die EU-Osterweiterung. Diese Assoziierungsabkommen, die wir heute diskutieren, sind Teil dieser Osterweiterung.
Herr Steinmeier, Sie sagen, es dürfe kein Entweder-oder geben. Die Geschichte des Jahres 2014 hat aber gezeigt, dass dieses EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine als Entweder-oder angelegt war. So hat es auch Kommissionspräsident Barroso gesagt. Wir lehnen das Entweder-oder ab, und wir lehnen deshalb auch dieses EU-Assoziierungsabkommen ab.
(Beifall bei der LINKEN)
Die drei Assoziierungsabkommen haben zwei Dimensionen: einmal ‑ das ist der größere Teil ‑ eine wirtschaftspolitische Dimension, aber auch eine sicherheitspolitische, eine militärische Dimension. In allen Abkommen ist die tiefere Integration dieser Staaten in das europäische Sicherheitssystem angelegt. Auch das ist ein Problem, und das ist eine der Sorgen, die auch Russland in dem Fall hatte.
Aber die wichtigere und auch größere Dimension ist die wirtschaftspolitische Dimension. Es geht nicht nur um Ost gegen West, EU oder Russland, sondern es geht auch darum, dass diese Abkommen, wirtschaftspolitisch betrachtet, radikal neoliberale Abkommen sind. Es gibt dort ganz viele Bekenntnisse zur freien Marktwirtschaft, etwa in der Präambel. Aber vergeblich sucht man in diesen Abkommen nach Bekenntnissen etwa zur sozialen Marktwirtschaft oder nach einem Bezug auf das europäische Sozialstaatsmodell, das ja auch ein Kern europäischer Werte ist. Wir lehnen diese radikal neoliberalen Abkommen ab.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Kontext der Installierung dieser Abkommen, zum Beispiel in der Ukraine, sind ja schon viele Reformen eingefordert worden, zum Beispiel die drastische Erhöhung der Gas- und Strompreise oder der Wasserpreise für Privathaushalte. DerTagesspiegel beziffert die durchschnittliche Erhöhung der Kosten für einen Zweipersonenhaushalt in der Ukraine, die zum 1. April 2015 in Kraft treten soll, auf 88 Prozent. Am 1. April dieses Jahr! Die WirtschaftsWoche schreibt dazu ‑ ich zitiere ‑:
Den Ukrainern bleibt nicht mehr viel zum Leben. Während es der Bevölkerung immer schlechter geht, können Oligarchen wie Staatspräsident Petro Poroschenko nicht klagen. Die Gewinne seiner Schokoladenfabriken haben sich verachtfacht. Auch seinen Freunden und Rivalen geht es nicht schlecht. Die Oligarchen kontrollieren das Bankensystem, die Stromversorgung und die Ölgesellschaften des Landes.
Wir haben vor wenigen Tagen gesehen, dass auch einzelne Oligarchen wie Kolomojskyj Privatarmeen haben, die sie einsetzen. Das darf nicht sein. Auch im Zuge der Diskussion um das Assoziierungsabkommen müssen diese Privatarmeen aufgelöst werden, ebenso wie die freiwilligen Bataillone, die ja auch zum Teil von Kolomojskyj finanziert werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Erinnern wir uns einmal an die dramatische Entwicklung in der Ukraine: das Assoziierungsabkommen, die blutigen Unruhen auf dem Maidan, der verfassungswidrige Umsturz, die Gegenbewegung, die Sezession der Krim, der Krieg im Osten, der Versuch, das militärisch zu lösen, und natürlich die Reaktion Russlands - ich will das ja nicht verschweigen. All das, glaube ich, sollte uns einmal innehalten und überlegen lassen, ob wir nicht eine andere Ostpolitik anvisieren sollen, eine Ostpolitik, die nicht auf Konfrontation mit Russland setzt, und die vor allen Dingen wirtschaftspolitisch auf Entwicklung, auf Kooperation und nicht auf neoliberale Abkommen setzt. Ich glaube, eine solche Ostpolitik wäre dringend notwendig. Ich fordere Sie auf, eine solche Debatte in der Europäischen Union anzustoßen.