Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Andrej Hunkos Redebeitrag auf der Konferenz zur Schuldenkrise in Athen am 6. Mai 2011

Liebe Freundinnen und Freunde,

zunächst einmal vielen Dank für die Möglichkeit hier auf dieser interessanten Konferenz reden zu können. Das ist sehr gut, dass es eine solche öffentliche Auseinandersetzung mit der Schuldenkrise gibt. Konferenzen dieser Art müsste es viel mehr geben, wir brauchen europaweit solche öffentlichen Auseinandersetzungen. Und es ist gut, dass diese Konferenz in Griechenland stattfindet: Griechenland gilt als die Wiege der Demokratie, Demokratie heißt Volksherrschaft und es sollte die Bevölkerung darüber befinden, wer wie die Kosten der Krise zu bezahlen hat.

Ein anderes Urgestein europäischer Demokratie ist übrigens Island. Island hat das älteste kontinuierlich tagende Parlament Europas. Island war besonders hart von der Krise betroffen, weil in Island der Neoliberalismus und die Deregulierung der Finanzmärkte in den 90er und 2000er Jahren besonders ausgeprägt waren. Und Island war bislang das einzige europäische Land in dem zwei Mal per Volksentscheid darüber abgestimmt wurde, ob die Schulden einer privaten Bank, der Icesave-Bank, von der Öffentlichkeit übernommen werden sollten. Und Island hat zweimal Nein gesagt. Das ist eine Botschaft von hohem symbolischen Wert auch für andere europäische Länder: Die Krise soll nicht auf dem Rücken derjenigen ausgetragen werden, die sie am wenigsten verursacht haben.

Die Rolle die ich hier habe, ist ein wenig aus dem „Herzen der Bestie“ zu berichten. Denn ich bin Mitglied des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages und ich erinnere mich sehr gut, wie wir vor einem Jahr in einer Sitzung dieses Ausschusses die drakonischen Austeritätsprogramme besprochen haben, die Griechenland im Zuge des so genannten Hilfspakets auferlegt wurden. Und ich weiß sehr gut, dass es auf der EU-Ebene die deutsche Regierung war, die am Schärfsten für Sozialkürzungen und Privatisierungen im Zuge des EU/IWF-Paketes eingetreten ist. Als dieser Tagesordnungspunkt im Ausschuss besprochen wurde, haben die Regierungsfraktionen die Sitzung für die Öffentlichkeit geschlossen und die griechische Botschafterin musste die Sitzung verlassen. Sie rief mich im Anschluss an, um zu fragen, was besprochen wurde und ich habe mich für die Haltung der deutschen Regierung entschuldigt. Und das möchte ich auch hier tun.

Das so genannte Griechenlandpaket und der Euro-Rettungsschirm sind keine Hilfspakete, wie es immer dargestellt wird, es sind vielmehr Rettungsringe aus Blei. Es sind Rettungspakete für die Finanzmärkte, nicht für die Bevölkerungen, weder in Griechenland, in Irland oder in Portugal.  Wir haben als Fraktion der Linken im Bundestag gegen all diese Pakete gestimmt – nicht weil wir den Ländern nicht helfen wollen, sondern weil wir die damit verbundenen Auflagen ablehnen: Die Sozialkürzungen, der Druck zu weiteren Privatisierungen und die Austeritätsprogramme sind antidemokratisch, sozial ungerecht und ökonomisch unsinnig. Es war abzusehen, was wir heute nach einem Jahr schon feststellen können: Die Krise hat sich weiter vertieft, eine Lösung im Rahmen dieser Vorgaben wird immer unwahrscheinlicher.

Liebe Freundinnen und Freunde, ich möchte hier aber noch einen anderen Punkt ansprechen: Flankiert wurde dieses so genannte Griechenlandpaket in Deutschland von einer unerträglichen antigriechischen Kampagne, insbesondere des Boulevards. Diese Stimmungsmache von den „faulen Griechen“, für die „wir Deutschen“ jetzt zahlen müssen hat sich tief in breite Bewusstseinsschichten eingeprägt. Niedrigste rassistische und nationalistische Stimmungen wurde aktiviert, um von den eigentlichen Ursachen der Krise abzulenken und ich muss sagen, dass diese Stimmungsmache teilweise erfolgreich ist. Und wir haben bei den letzten Wahlen in Finnland gesehen, wie eine solche Stimmungsmache zum Aufschwung rechtspopulistischer Parteien führen kann. Auch das ist ein Grund, sich mit den Ursachen der Krise zu befassen.

Lasst mich kurz einige der Ursachen der Euro-Krise ansprechen:

  1. Eine wesentliche Ursache ist das starke Ungleichgewicht der Leistungsbilanzen der verschiedenen Volkswirtschaften. Deutschland hat massive Leistungsbilanzüberschüsse, die deutsche Wirtschaft ist sehr stark exportorientiert. Erkauft wird der Exportweltmeister mit einem Lohndumping in Deutschland selbst. Es gibt in Deutschland keinen gesetzlichen Mindestlohn, die Reallöhne sind in Deutschland in den letzten 12 Jahren als einzigem EU-Land um ca. 5% gesunken. Das führt dazu, dass schwächere Volkswirtschaften in der Euro-Zone an die Wand gedrückt werden. Auf Dauer gefährdet dieser Zustand den Bestand der EU. Es ist unerträglich, dass sich die deutsche Regierung weigert, eine wirtschaftliche Koordinierung dieser Ungleichgewichte zu akzeptieren.
  2. Es gibt überall in Europa eine Umverteilung von unten nach oben, das führt einerseits zu einer Schwächung der Massenkaufkraft, andererseits sind riesige Geldvermögen entstanden, die sich von der Realwirtschaft abkoppeln und in die Spekulation drängen. Ein Teil dieser Vermögen spekuliert gegen einzelne Staaten, z.B. gegen Griechenland.
  3. Mit der Privatisierung und Deregulierung der Finanzmärkte ist eine Verarmung der öffentlichen Haushalte einher gegangen, nicht nur in Griechenland, sondern auch in Deutschland. Das Kräfteverhältnis zwischen öffentlichen Haushalten und demokratisch gewählten Regierungen einerseits und den Finanzmärkten andererseits hat sich massiv zugunsten der Finanzmärkte verschoben. Es ist unerträglich, wie die Regierungen der EU weit reichende Entscheidungen aus Angst vor den Reaktionen an den Finanzmärkten treffen.

Die bislang seitens des EU-Rates vorgeschlagenen „Lösungen“ werden das Problem weiter vertiefen. Sie wollen noch mehr von der „Medizin“ verabreichen, die in die Krise geführt hat. Noch mehr „Wettbewerbsfähigkeit“, mehr Privatisierung, keine Regulierung der Finanzmärkte. Griechenland soll nach dem Willen von EU und IWF weitere 20 Milliarden Euro einsparen und 50 Milliarden privatisieren. Man hat den Eindruck, dass die perverse Forderung mancher Neoliberaler aus Deutschland, Griechenland solle doch seine Inseln verkaufen wirklich Ernst gemeint war.

Notwendig wären vielmehr Maßnahmen, die auf die Ursache der Krise abzielen, auf die gewachsene Macht der Finanzmärkte. Dazu gehören Maßnahmen zu Regulierung der Finanzmärkte wie eine Finanztransaktionssteuer, Kapitalverkehrskontrollen, öffentliche Ratingagenturen und die Möglichkeit der EZB Direktkredite an Staaten auszugeben. Dazu gehören Maßnahmen, die darauf abzielen das wirtschaftliche Ungleichgewicht in der EU abzubauen, insbesondere in den Überschussländern. Und dazu gehört auch die Möglichkeit eines Schuldenschnitts, der darauf abzielt die Profiteure der Krise und die vagabundierenden Vermögen zu belasten und nicht etwa die Altersvorsorge von Beschäftigten.

Letztlich werden die notwendigen Maßnahmen nicht im Rahmen der jetzigen Grundlagenverträge der EU möglich sein, wie sie im Lissabonvertrag festgelegt wurden.  Diese Verträge spiegeln  die neoliberale Hegemonie der Zeit vor der Krise wieder, sie sind ungeeignet, die Krise zu lösen. Wir brauchen eine Komplettrevision der Verträge, um ein soziales, ökologisches und friedliches Europa zu schaffen. Europa wird sozial sein – oder es wird nicht sein.

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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