Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Von Andrej Hunko

In Lateinamerika findet kein rechter Putsch mehr ohne Beifall der Bundesregierung statt. Während des langen doch bislang erfolglosen Umsturzversuches in Venezuela musste sich das Auswärtige Amt noch von der Realität belehren lassen.

Mit seiner Einschätzung, dass die völkerrechtswidrige Anerkennung des Putschisten Juan Guaidó nur von kurzer Dauer sein würde, lag es gründlich daneben. Auch ein knappes Jahr nach dessen Selbstausrufung bleibt Präsident Maduro im Amt. Die von der Bundesregierung unterstützte Strategie der USA, die Wirtschaft vollends zu erdrosseln, ist noch nicht aufgegangen.

In Bolivien hingegen lief alles schneller. Nach der weiterhin unbelegten Behauptung umfassender Wahlmanipulationen durch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zwangen Militär und Polizei den 2014 mit über 60 Prozent der Stimmen gewählten Präsidenten zum Rücktritt. Er beugte sich nach eigenen Aussagen dem Druck, um Blutvergießen zu verhindern. Mit dem Vizepräsidenten und den Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments nahmen auch alle verfassungsmäßigen Nachfolger auf Druck der Putschisten ihren Hut. Sie beklagten teilweise, dass ihre Häuser angezündet und ihre Familien bedroht worden seien. Der Präsident der Abgeordnetenkammer rief im Zuge seiner Rücktrittserklärung gar zur Freilassung seines entführten Bruders auf.

All dies hielt Regierungssprecher Seibert nicht davon ab, den Rücktritt Morales‘ als „wichtigen Schritt hin zu einer friedlichen Lösung“ zu begrüßen und Lügen über das Ausmaß der Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zu verbreiten.

Im zweiten Akt des Putsches tagte der Senat ohne die MAS-Abgeordneten, die in der Parlamentskammer die Mehrheit stellen. Diese „boykottierten“ jedoch nicht die Sitzung, wie uns quer durch die meisten Medien vermittelt wird, sondern nahmen aus Sorge um ihre Sicherheit nicht teil. Sie wurden ausgesperrt. Ohne notwendiges Quorum und ohne wie von der Verfassung vorgeschrieben die Rücktrittsersuchen von Präsident und Vizepräsident anzunehmen, erklärte sich dann die Vizepräsidentin des Senats selbst zur Interimspräsidentin Boliviens. Die evangelikale Rechtsaußen-Politikerin Jeanine Añez, die in der Vergangenheit durch rassistische Aussagen gegenüber der indigenen Mehrheit aufgefallen war, ist damit De-facto-Präsidentin Boliviens.

Seitdem tobt in Bolivien der rechte Mob. Der neue Präsidialamtsminister rief als erstes zur „Jagd“ auf seinen Vorgänger auf, der ein „Tier“ sei. Proteste der indigenen Mehrheit gegen den Putsch wird mit Gewalt begegnet und die Wiphala, die Fahne der indigenen Nationen der Anden, medienwirksam verbrannt. Die nun erneut an die Macht strebende weiße Elite bemüht sich nach den ersten Exzessen nur zögerlich, ihren Rassismus zu verstecken. So sind alle von der Putsch-Präsidentin eingesetzten Minister weiß, obwohl die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung indigene Wurzeln hat.

Und die Bundesregierung? Ohne ein kritisches Wort „begrüßt“ sie die Ankündigung der „Interimspräsidentin von Bolivien“, innerhalb von drei Monaten freie und faire Wahlen anzusetzen. Ob diese tatsächlich stattfinden werden oder Añez versucht, sich mit Hilfe des Militärs an der Macht zu halten, bleibt abzuwarten.

Wenig überraschend standen auch die Grünen ohne Zögern Gewehr bei Fuß und begrüßten den rechten Putsch als „historischen Moment“. Omid Nouripour, Der außenpolitische Sprecher ihrer Fraktion im Bundestag bescheinigte dem Militär kurz nach dem erzwungenen Rücktritt Morales‘, „die richtige Entscheidung getroffen“ zu haben. Dass aber auch bis weit in die Linke hinein während eines laufenden Putsches darüber diskutiert wird, ob die gestürzte Regierung nicht doch selbst Schuld ist, ist einfach nur beschämend.

Hier zeigt sich, wie sehr die Regime-Change-Strategien wirken. Immer wird im Vorfeld derartiger Umstürze der Boden bereitet, indem reale Fehltritte der Regierungen mit Übertreibungen und schlichten Lügen vermengt werden. Dadurch werden bis weit in progressive Teile der Bevölkerung hinein Zweifel und Unsicherheit gesät, die dann im Falle der Konfrontation zu einer Entsolidarisierung führen.

Selbstverständlich gibt es reichlich Dinge, die man an der Politik von Evo Morales kritisieren kann. Diese im konkreten Fall eines Putsches aber in den Vordergrund zu stellen, zeugt im besten Fall von politischer Naivität. Aufgabe der Linken ist in einer solchen Situation, den Putsch klar zu benennen und zu verurteilen und die medial verbreiteten Narrative kritisch zu hinterfragen. Denn wie im Krieg gilt auch in diesen Momenten: Die Wahrheit ist das erste Opfer.

Erstveröffentlichung auf diefreiheitsliebe.de am 18.11.2019

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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