Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Von Andrej Hunko

In der Europäischen Union liegt Vieles im Argen. Sie wurde mit vielen Fehlern gegründet und hat in der Corona-Krise durch ihre späte Reaktion ein schlechtes Bild abgegeben. Die neoliberale Prägung der EU, welche Konzerninteressen Vorrang vor den sozialen Interessen der Menschen gibt, hat sich in der aktuellen Krise in aller Deutlichkeit gezeigt. Ein Paradigmenwechsel ist überfällig. Ab dem 1. Juli hat Deutschland für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft inne. Die Bundesregierung könnte diese Zeit nutzen, um wichtige Weichen für den notwendigen Wandel zu stellen.

Ein Grundproblem der EU bleibt ihre „neoliberale DNA“. Die EU-Verträge sind durchzogen von marktradikalen Dogmen, während soziale Rechte  viel zu kurz kommen. Ein trauriges Beispiel: Die Gesundheitssysteme vieler Staaten wurden auf Druck der EU-Kommission auf Profit getrimmt. Zwischen 2011 und 2018 hat sie im Rahmen des sogenannten „Europäischen Semesters“ die Mitgliedsstaaten 63 Mal aufgefordert, die Gesundheitsausgaben zu kürzen oder Teile des Gesundheitssystems zu privatisieren. Das hat insbesondere die südeuropäischen Länder getroffen.

Derartige Entwicklungen haben dazu geführt, dass die soziale Ungleichheit zwischen den Mitgliedsstaaten und innerhalb der Staaten zugenommen hat. Die Antworten auf die enorme Wirtschaftskrise, die sich in Folge der Eindämmung des neuartigen Coronavirus entwickelt, drohen diesen Prozess noch zu verschärfen. Denn schon jetzt zeigt sich, dass die Staaten sehr unterschiedliche Möglichkeiten haben, die notwendigen wirtschaftlichen Aufbauprogramme aufzulegen. Das hat maßgeblich mit dem Korsett der Austeritätspolitik zu tun, das vor allem den wirtschaftlich schwächeren Staaten aufgezwungen wurde.

2019 erhielt die globale Klimakrise endlich die gebotene Aufmerksamkeit. Durch die Corona-Pandemie ist sie zwar vorübergehend aus den Schlagzeilen verschwunden, aber nicht ansatzweise gelöst. Es sind enorme Anstrengungen notwendig, die sich nicht allein durch den Markt realisieren lassen. Die EU müsste eine Vorreiterrolle einnehmen und Lösungen auch gegen mächtige Profitinteressen durchsetzen. Davon ist jedoch bisher viel zu wenig zu sehen.

Schließlich zeigt sich in der aktuellen Pandemie auch die völlig falsche Prioritätensetzung in der EU. Militarisierungsprojekte wie PESCO wurden vorangetrieben aber etwa der wichtige EU-Zivilschutz wurde völlig vernachlässigt. Dies rächt sich in Zeiten wie diesen. Es ist beschämend zu sehen, wie zu Beginn der Corona-Pandemie der von Italien und Spanien aktivierte Katastrophenschutz-Mechanismus versagt hat, während Milliarden in die militärische Aufrüstung investiert wurden.

Notwendige Schritte zur Überwindung der Klimakrise oder für eine soziale Gestaltung der EU wurden häufig mit dem Argument abgelehnt, dass diese zu weitreichend und nicht umsetzbar seien. Bei der Pandemie-Bekämpfung ist anscheinend plötzlich alles möglich, trotz teils gravierender Folgewirkungen. Dies zeigt: Wenn der politische Wille da ist, ist fast alles möglich.

Für DIE LINKE ist klar: Die Konstruktionsfehler von EU und Euro müssen endlich korrigiert werden, sonst könnten beide bald Geschichte sein. Hierfür muss das marktradikale Dogma überwunden und auf solidarische Kooperation statt allein auf Wettbewerb gesetzt werden. Eine soziale Fortschrittsklausel, die sozialen Schutz- und Arbeitnehmerrechten Vorrang vor den EU-Binnenmarktfreiheiten gibt, wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Auch die Gewerkschaften fordern dies seit Langem. Darüber hinaus brauchen wir EU-weit starke Arbeitslosenversicherungen, eine angemessene Lohnentwicklung und europaweite armutsfeste gesetzliche Mindestlöhne.

Die Aussetzung des dummen „Stabilitäts- und Wachstumspakts“ ist ein Anfang und auch der neue Wiederaufbaufonds trägt eine zumindest leicht andere Handschrift als vergleichbare Pakete bei zurückliegenden Krisen. Entscheidend ist aber, das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB) zu überwinden, um in Krisenzeiten mit der nötigen Entschlossenheit reagieren zu können. Eine EU-weit koordinierte Vermögensabgabe für Superreiche wäre ebenfalls notwendig, um die Folgen nicht auf die einfachen Leute abzuwälzen.

Überfällig ist auch der Beitritt der EU zur Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK). 2009 hat sie sich dazu im Lissabon-Vertrag verpflichtet. Die Bundesregierung muss hier ihren Lippenbekenntnissen Taten folgen lassen, auch angesichts des Ratsvorsitzes Deutschlands im Ministerkomitee des Europarates ab November. Eine EU, die außenpolitisch die Menschenrechte betont, aber für sich selbst nicht die EMRK und den Straßburger Gerichtshof anerkennt macht sich unglaubwürdig.

Erstveröffentlichung auf linksfraktion.de am 17. Juni 2020.

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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