Persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP „zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie“ (Drucksachen 20/188 und 20/250):
Dem von der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP vorgelegten Gesetzentwurf, in dem eine Impfpflicht für Beschäftigte besonderer Berufsgruppen im Pflege- und Gesundheitsbereich („einrichtungsbezogene Impfpflicht“) vorgesehen ist, kann ich nicht zustimmen. Ich lehne die Einführung der einrichtungsbezogenen (ebenso wie der allgemeinen) Impfpflicht ab. Hierfür sind folgende Gründe für mich ausschlaggebend:
- Das extrem beschleunigte Verfahren, durch das das Gesetz binnen weniger Tage durch das Parlament gepeitscht wurde, ist inakzeptabel und auch den Plänen nicht angemessen. Der umfassende Gesetzentwurf lag erst am Dienstagabend vor und wurde schon am Freitagmorgen abschließend abgestimmt, obwohl die geplante Impfpflicht erst im März in Kraft treten soll. Es wäre ausreichend Zeit für ein normales parlamentarisches Verfahren und die notwendige gesellschaftliche Debatte über dieses kontroverse Thema gewesen.
- Allein die Tatsache, dass alle vier in Deutschland zugelassenen Impfstoffe gegen Covid19 weiterhin eine bedingte Marktzulassung haben, verbietet meines Erachtens eine Verpflichtung zur Impfung. Auch wenn die Impfungen inzwischen millionenfach verwendet wurden, scheinen den Zulassungsbehörden die vorliegenden Daten nicht für eine komplette Zulassung auszureichen. Diese müsste mindestens abgewartet werden.
- Ich teile die im Januar von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mit übergroßer Mehrheit vertretene Auffassung, dass die Impfung gegen Covid19 freiwillig sein muss (Resolution 2361 (2021)).
- Die Impfstoffe gegen Covid19 erzeugen keine sterile Immunität und können die Infektion und die Übertragung des Virus nur begrenzt unterbinden. Sie sind zwar geeignet, das Risiko schwerer Erkrankungen senken (Selbstschutz) und die Übertragung in einem gewissen Ausmaß zu reduzieren. Dies reicht allerdings nicht, um einen derartig weitreichenden Eingriff zu rechtfertigen, zumal mildere Mittel (vor allem: umfassende Testungen) vorhanden sind.
- Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht könnte arbeitsrechtliche Konsequenzen (Kündigung, Sanktionen) für Beschäftigte haben, die ich ablehne. Auch die Gewerkschaften – wie etwa ver.di und auch der DGB auf Bundes- und teilweise Landesebene – lehnen eine solche einrichtungsbezogene Impflicht mit Blick auf die Beschäftigten ab. Gerade Beschäftigte in diesen Bereichen, die sich in der ersten Reihe der Pandemie von Beginn an entgegenstemmen ein solches Zeichen des Misstrauens zu senden, finde ich die falsche Herangehensweise.
- Die Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht in anderen Ländern hat gezeigt, dass dadurch dringend benötigte Pflegekräfte ihren Job aufgeben. Das würde den seit vielen Jahren bestehenden Pflegenotstand weiter verschärfen – und das mitten in der vierten Welle der Pandemie.
- Die geplante Impfpflicht soll vom politischen Versagen in anderen Punkten ablenken – etwa von der unkoordinierten Booster-Impf-Kampagne oder einer echten Strategie dafür, dass Pflegekräfte in ihren Beruf zurückkehren.
Zugleich enthält das Gesetzespaket dringend notwendige Punkte, die ich nicht ablehnen kann. Dazu gehört die Verlängerung der Regelungen zum Kurzarbeitergeld, der vereinfachte Zugang zu Sozialleistungen und die notwendige (wenn auch unzureichende) Krankenhausfinanzierung. Eine getrennte Abstimmung zur Impfpflicht und zu diesen Punkten wurde von den Regierungsfraktionen verhindert.
Weitere Erklärungen zur Pandemie-Politik:
- 08.09.2021: Erklärung zur erneuten Änderung des Infektionsschutzgesetzes durch die Hintertür
- 06.05.2021: Persönliche Erklärung zur Abstimmung über die Rücknahme von Grundrechtseinschränkungen für Geimpfte, Genesene und Getestete
- 16.04.2021: Zielgenaue Pandemiebekämpfung statt autoritärer Symbolpolitik
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- 25.03.2020: Solidarität und Demokratie in Zeiten der Coronakrise