Rede von Andrej Hunko (DIE LINKE) im Bundestag am 08.10.2020 zur Debatte über die Ratifizierung der Revidierten Europäischen Sozialcharta
Die Inkraftsetzung der der Europäischen Sozialcharta war 1965 ein zivilisatorischer Meilenstein für den völkerrechtlich verbindlichen Schutz sozialer Rechte. Deutschland gehörte damals zu den Vorreiterstaaten in dieser Frage. Heute, bei der Ratifizierung der überarbeiten "revidierten" Sozialcharta, ist Deutschland Schlusslicht. DIE LINKE begrüßt, dass die revidierte Sozialcharta endlich zur Ratifizierung vorgelegt wurde. Die von der Koalition vorgenommenen Ausnahmen, beispielsweise des Rechts auf Wohnen und des Rechts auf Schutz vor Armut, lehnen wir jedoch ab. Wir fordern eine Ratifizierung ohne Wenn und Aber der Charta und ebenfalls des Zusatzprotokolls über Kollektivbeschwerden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Inkraftsetzung der Europäischen Sozialcharta, das heißt die völkerrechtlich verbindliche Konvention von souveränen europäischen Staaten, im Jahr 1965 war ein zivilisatorischer Meilenstein. Es ist eine Errungenschaft, und es ist richtig, dass heute endlich auch die revidierte Europäische Sozialcharta ratifiziert wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Damals, 1965, war Deutschland Vorreiter. Es war fünftes Land, und nach der deutschen Ratifizierung trat die Europäische Sozialcharta in Kraft. Sie beinhaltet das Recht auf Arbeit – das ist hier schon ausgeführt worden –, viele wichtige soziale Rechte. Heute ist Deutschland Nachhut, fast Schlusslicht. 34 europäische Staaten haben die 1999 in Kraft getretene und aktualisierte revidierte Sozialcharta schon ratifiziert, und heute, 24 Jahre nach der Verabschiedung, kommt endlich auch die Bundesregierung dazu, diese revidierte Europäische Sozialcharta zu ratifizieren. Diese Verzögerung ist aus unserer Sicht völlig unakzeptabel.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber nicht nur das – das ist hier schon ausgeführt worden –: 16 Ausnahmen werden beansprucht. Sie betreffen etwa das Recht auf Wohnung, das Recht auf Beteiligung an den Arbeitsbedingungen, das Recht auf
Schutz bei Kündigung oder das Recht auf Schutz gegen Armut. All das wird ausgenommen, und auch das finden wir völlig inakzeptabel. So weit gehende Ausnahmen sind nicht hinzunehmen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist ja keine linksradikale Forderung, die Sozialcharta ohne Wenn und Aber, wie wir das in unserem Antrag fordern, zu ratifizieren. Frankreich hat am Anfang dieser Legislatur sehr viel von der deutsch-französischen Zusammenarbeit geredet. Frankreich hat alle Artikel ratifiziert – übrigens auch das Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden –, und das sollte ein Vorbild sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Ganz deutlich wird in dieser Debatte der Charakter der AfD. Die AfD möchte die Sozialcharta direkt abschaffen. Der antisoziale Charakter der AfD wird hier sehr deutlich. (Beifall bei der LINKEN)
Wir haben zwei Anträge gestellt, einmal zur Ratifizierung ohne Wenn und Aber und zur Ratifizierung des Zusatzprotokolls. Das nämlich ermöglicht zum Beispiel Gewerkschaften und kollektiven NGOs, beim zuständigen Ausschuss Beschwerde einzulegen, wenn soziale Rechte verletzt werden. Soziale Rechte sind nur dann wirkungsvoll, wenn es auch ein Umsetzungsinstrumentarium gibt. Also bitte: Stimmen Sie diesen Anträgen zu! Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle: Plenarprotokoll 19/183 vom 8. Oktober 2020
Anträge DIE LINKE in der Debatte:
- Ja zur Revidierten Europäischen Sozialcharta (Drucksache 19/22123)
- Kollektivbeschwerden zur besseren Überwachung der Europäischen Sozialcharta ermöglichen – Zusatzprotokoll unterzeichnen und ratifizieren (Drucksache 19/22124)