Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen Covid-19 beschäftigt sehr viele Menschen. Die einen fürchten dadurch einen unverhältnismäßigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, die anderen erhoffen sich durch eine Impfpflicht vor allem ein baldiges Ende der Pandemie und der gegen Sie in Stellung gebrachten Maßnahmen.
Ich halte die Impfung gegen Covid-19 für einen wichtigen Baustein der Pandemie-Politik, bin selbst geimpft und halte die Impfung vor allem für Risikogruppen für empfehlenswert. Zugleich lehne ich die Einführung einer Verpflichtung oder gar eines Zwangs zur Impfung ab und teile die diesbezügliche Ansicht der Parlamentarischen Versammlung des Europarates von Januar 2021 (Resolution 2361 (2021)). Die folgenden Gründe sind für mich ausschlaggebend:
- Eine Ausrottung (Eradikation) von Sars-CoV2 ist nicht möglich, weder durch Impfung noch durch natürliche Immunität. Dadurch, dass das Virus in Tieren aber auch in gesundeten und geimpften Menschen „überleben“ kann, ist die Eradikation kein realistisches Ziel mehr.
- Die verfügbaren Impfstoffe bieten zwar einen relevanten Schutz vor schweren Verläufen der Erkrankung Covid-19, jedoch nicht bzw. zeitlich äußerst begrenzt gegen Infektion und Übertragung des Virus an andere. Dadurch fällt das Argument des Fremdschutzes weitgehend aus: Die Impfung dient fast ausschließlich dem Selbstschutz.
- Das Ziel einer höheren Impfquote insbesondere in den Risikogruppen lässt sich auch mit deutlich milderen Mitteln erreichen. Statt einer Impfpflicht brauchen wir aufsuchende niedrigschwellige Angebote, insbesondere bzgl. Risikogruppen. Das Bundesland Bremen aber auch andere europäische Länder haben ohne Verpflichtung hohe Impfquoten erreicht.
- Alle bislang in Deutschland zugelassenen Impfstoffe gegen Covid-19 haben weiterhin eine bedingte Marktzulassung. Auch wenn die Impfungen inzwischen millionenfach verwendet wurden, scheinen den Zulassungsbehörden die vorliegenden Daten nicht für eine komplette Zulassung auszureichen. Dies allein verbietet, eine Pflicht zur Impfung einzuführen.
- Die Omikron-Variante kommt zu all dem noch hinzu: Durch die bereits vorhandene Grundimmunität in der Bevölkerung sowie die höhere Infektiosität bei geringerer Krankheitslast fällt auch das Argument weg, man müsse das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch schützen.
- Die Impfpflicht lenkt vom Versagen der Pandemie-Politik ab. Diese basierte auf der Vermittlung von Angst statt auf rationaler Risikobewertung und transparenter Kommunikation. Der politische, wissenschaftliche und mediale Diskurs über die Pandemie und die zu treffenden Maßnahmen wurde in nicht akzeptabler Weise verengt. Dies hat zu einen enormen Vertrauensverlust in staatliches Handeln und Institutionen geführt. Eine Impfpflicht würden diesen Weg fortsetzen und könnte sich nachhaltig negativ auswirken – zum Beispiel in Bezug auf die Impfung gegen andere Krankheiten.
- Zuletzt stellt sich mir auch die Frage, was die Aufgabe des Staates ist. Diese sehe ich darin, den Menschen zu ermöglichen, sich vor dem neuen Krankheitserreger zu schützen und im Falle einer Erkrankung die bestmögliche gesundheitliche Betreuung zu bieten. Ich sehe es aber nicht als Aufgabe des Staates an, Menschen zu schützen, die gar nicht geschützt werden wollen. Deshalb muss es die Entscheidung eines und einer jeden Einzelnen sein, sich impfen zu lassen oder nicht.
Eine Impfpflicht stellt weitreichenden Eingriff in die Grundrechte dar, insbesondere in das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Die vorliegende Situation rechtfertigt aufgrund der genannten Argumente meines Erachtens einen solche Eingriff nicht.
Statt autoritärem Aktionismus braucht es beim Umgang mit der Pandemie eine verlässliche und repräsentative Datengrundlage, evidenzbasierte Entscheidungen und eine transparente, auf Ermächtigung der Menschen abzielende Kommunikation gemäß den Grundsätzen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge (Public Health).