„Für ein solidarisches Europa - Nein zum Austeritätspakt“
Bericht von Andrej Hunko
Unter diesem Motto demonstrierten am 30. September gut 80.000 Menschen vom Place de la Nation zum Place d’Italie in Paris. Aufgerufen hatte die „Front de Gauche“, die „Linksfront“, das Bündnis der Kommunistischen Partei Frankreichs, der französischen Linkspartei und zahlreicher weiterer linker Parteien und Organisationen. Eingeladen wurden auch Vertreter/innen europäischer Linksparteien; ich nahm als Vertreter der deutschen LINKEN teil.
Anlass der Demonstration war die beginnende Debatte im französischen Parlament zur Ratifizierung des Fiskalpaktes, der in Frankreich von Linken als „Traité d’austerité“, als Austeritätspakt, bezeichnet wird. Der im Mai 2012 neu gewählte sozialdemokratische Präsident Francois Hollande hatte im Wahlkampf den maßgeblich von Merkel und Sarkozy ausgehandelten Vertrag massiv kritisiert und eine Ablehnung der Ratifizierung angekündigt. Jetzt wirbt er innerhalb seiner Fraktion für die Zustimmung.
Für die französische „Front de Gauche“, die im April mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Melenchon 11,1 % und wenige Wochen später bei den Parlamentswahlen eher enttäuschende 6,9 % erreichte, stellt die Debatte um den Fiskalpakt ein zentrales Politikfeld dar, um sich als führende Oppositionskraft aufzustellen. Vor dem Hintergrund, dass die große Mehrheit der Franzoösinnen und Franzosen der Merke‘lschen Austeritätslogik kritisch gegenüber steht und eine Volksabstimmung zum Fiskalpakt fordert, kein aussichtsloses Unterfangen.
Mit der m. E. konservativ geschätzten Zahl von 80.000 Teilnehmer/innen - die Organisatoren rechneten im Vorfeld mit einem Minimum von 30.000 Teilnehmer/innen - und einer europaweiten Presseresonanz ist diese Strategie durchaus aufgegangen. Obwohl nicht in der Assemblée nationale, dem französischen Parlament, vertreten, gilt Jean-Luc Melenchon in Frankreich als wichtigste Oppositionsstimme zu Francois Hollande. Die im Bündnis mit den französischen Grünen regierende Parti Socialiste steht somit unter Druck von links, die anzunehmende kommende Enttäuschung vieler Wähler/innen mit Hollande findet links mit der Front de Gauche einen deutlich wahrnehmbaren Orientierungspol.
Es wird erwartet, dass die übergroße Mehrheit der sozialdemokratischen Abgeordneten in der Assemblée nationale und im Senat dem Fiskalpakt zustimmen werden. Bemerkenswert ist jedoch die ablehnende Haltung der Mehrheit der französischen Grünen, ganz im Unterschied zu ihrem deutschen Pendant. Der Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, suspendierte seine Mitgliedschaft, nachdem es ihm misslungen war, seine Partei auf Austeritätskurs zu bringen. Im französischen Fernsehen verkündete er, das Tischtuch zwischen ihm und den Grünen sei „endgültig zerschnitten“. Im Verlauf der Demonstration am 30. September reihten sich denn auch führende Vertreter/innen der Grünen medienwirksam hinter dem Fronttransparent um Jean-Luc Melenchon und Francois Laurent, dem Vorsitzenden der Europäischen Linkspartei ein.
Auf der Demonstration ist die Popularität Jean-Luc Melenchons spürbar. Am Straßenrand bilden sich immer wieder Menschentrauben, die Melenchon mit RESISTANCE!, RESISTANCE!-Rufen und erhobener Faust anfeuern. Im Frontblock drängen sich Abgeordnete und führende Parteiaktivist/innen, um neben Melenchon abgelichtet zu werden. Auch aus anderen europäischen Ländern sind Vertreter/innen linker Parteien gekommen, ich treffe Genoss/innen aus Spanien, Portugal, Italien, Griechenland, Dänemark und Moldawien.
Linke, internationalistische Kritik der neoliberalen Entwicklung der Europäischen Union hat in Frankreich eine lange Tradition: Am 29. Mai 2005 lehnten 54,7 % der Französinnen und Franzosen in einem Referendum den europäischen Verfassungsvertrag ab, der wenige Wochen später nach einer weiteren Ablehnung durch die niederländische Bevölkerung beerdigt wurde. In den „Committees de non“ kam es damals zu einer verstärkten Zusammenarbeit der verschiedenen Organisationen der französischen Linken und dem linken Flügel der Grünen und der Parti Socialiste. Diese Kooperationen bildeten eine zentrale Grundlage für die heutige Zusammenarbeit in der Front de Gauche. Für die später unter Führung von Melenchon gegründete „Parti de Gauche“ spielt die linke EU-Kritik eine identitäre Rolle, vielleicht ähnlich wie die Ablehnung der Hartz-Gesetze für die LINKE in Deutschland.
Die gute Wahrnehmung der Demonstration auch in den deutschen Medien nur wenige Tage nach den massiven Protesten in Griechenland, Spanien und Portugal trägt auch zur langsam wachsenden Erkenntnis in der deutschen Öffentlichkeit bei, dass es sich beim Fiskalpakt und der gegenwärtigen EU-Krisenpolitik um einen tiefgreifenden Angriff auf die verbliebenen Reste des europäischen Sozialstaatsmodells handelt, der über kurz oder lang hierzulande ankommen wird. Nicht „faule Griechen“ sind das Problem, sondern das gegenwärtige Krisenregime der EU.