Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung beteiligte ich mich am zusammen mit Bernd Riexinger und den MdBs Annette Groth und Michael Schlecht an der Eröffnung des Rosa-Luxemburg-Büros im Herzen Athens. Hintergrund der Büroeröffnung: Spätestens im November letzten Jahres wurde der deutschen Regierung, anlässlich der diplomatisch kaum noch zurückgehaltenen Kritik aller damals im griechischen Parlament vertretenen Parteien an der Politik der Bundesregierung gegenüber Griechenland, klar, dass die Beziehungen verbessert werden müssen. Freilich ohne vom irrsinnigen Austeritätsdogma abzuweichen. Aus diesem Grund stellte das Auswärtige Amt Mittel zum Aufbau von Büros der parteinahen Stiftungen zur Verfügung, die im Zuge des EU-Beitritts Griechenland eingestellt worden waren.

Der Zufall wollte es, dass die lange geplante Büroeröffnung am 9. Oktober 2012 auf den gleichen Tag fiel, an dem Angela Merkel ihren ersten Besuch in Athen seit Beginn der Krise absolvierte. Das kurzfristige Bekanntwerden dieses Besuchs führte in Griechenland zu massiven Reaktionen: Die Gewerkschaften und linken Oppositionsparteien SYRIZA und KKE riefen zu Massendemonstrationen im Zentrum auf. Sämtliche griechischen Tageszeitungen hatten in den Tagen rund um den Merkel-Besuch nur dieses eine Thema. Pars pro toto schrieb etwa die zweisprachig aufgemachte Tageszeitung „Hellada“ in einem offenen Brief an Angela Merkel:

„…Sie können, auch wenn es spät ist, die Wahrheit sehen und sagen. Aber auch zu drastischen und realistischen Lösungen kommen. Lösungen, die nichts mit Hunger, Elend und Tod zu tun haben, die nicht zur drohenden Katastrophe führen. Lösungen, die die europäische Familie letztendlich aus dem Teufelskreis der Krise in die Lichtung eines besseren Tages bringen. Wir Griechen bestreiten nicht die Fehler, die wir in der Vergangenheit gemacht haben…Wir können jedoch keine Rezepte ertragen, die die Rezession recyceln, die Wirtschaft lähmen, die Gesellschaft erodieren und das Land ausrotten…Sie haben das Haircut der griechischen Schulden zum Betrug degeneriert, zugunsten Ihrer Banken…Wir ertragen nichts mehr. Wir trauen keinen Plänen, die scheitern. Wir verkaufen unsere Souveränität und unsere Demokratie nicht. Wir werden keinem Land und Wasser abgeben.“

Dieser offene Brief entspricht durchaus dem verbreiteten griechischen Bewusstsein.

Rund 7.000 Polizisten wurden eingesetzt, um den Kurzbesuch Merkels vor der demonstrierenden griechischen Bevölkerung abzusichern. Trotz eines totalen Demonstrationverbots in der Athener Innenstadt demonstrierten allein auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament mehr als 50.000 Menschen. Es war überwältigend, als wir MdBs angeführt von Alexis Tsipras und Bernd Riexinger, den Parteivorsitzenden der griechischen und deutschen Linken, durch die applaudierende Menge gingen. „Die Anwesenheit des Vorsitzenden der deutschen Linken und mehrerer Abgeordneter des deutschen Bundestages an diesem Tag ist von starker Symbolik“ kommentierte Tsipras die Ereignisse.

Zuvor hatten Bernd Riexinger und Michael Schlecht zusammen mit dem gesundheitspolitischen Sprecher der SYRIZA-Fraktion, Andreas Xanthos, sowie Ärzte- und Gewerkschaftsvertreter/innen ein Kinderkrankenhaus in Athen besucht. Annette Groth und ich besuchten zeitgleich mit dem sicherheitspolitischen Sprecher von SYRIZA und verschiedenen Aktivist/innen das Flüchtlingscamp Amygdaleza in der Nähe von Athen. Für mich ein erschütterndes Bild: In stacheldrahtumzäunten kleinen Arealen von vielleicht 20 x 50 Metern drängten sich Trauben von Flüchtlingen, meist aus Pakistan, Bangladesch und Afghanistan, die mit uns reden wollten: „Helft uns, holt uns hier raus, wir sind schon seit sechs Monaten hier, wir können nicht telefonieren, die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal“ wurde uns entgegen gerufen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte Griechenland aufgrund der unmenschlichen Haftbedingungen für Flüchtlinge nun schon mehrfach verurteilt. Dennoch investiert die EU viel Geld um die systematische Internierung so genannter illegaler Migrant/innen voran zu treiben und die deutsche Regierung sperrt sich auf EU-Ebene die Dublin-II-Regelung auszusetzen.

Derweil erreichen uns die ersten Kommentare aus deutschen Medien. Ein Chef vom Dienst der Stuttgarter Zeitung bezeichnete Bernd Riexinger als „vaterlandslosen Gesellen“, ein Vokabular mit dem im ersten Weltkrieg vor allem Sozialdemokraten bezeichnet wurden, die den Krieg ablehnten. Aber auch Vertreter von CDU, FDP und sogar SPD stießen ins gleiche Horn. So bezeichnete etwa der stramme Sozialdemokrat und Präsident des europäischen Parlaments Martin Schulz die Beteiligung und den Demonstrationen gegen das Spardiktat als „merkwürdige Art, den Griechen zu helfen“.

Skandalös und ein Bruch mit demokratischen Gepflogenheiten ist hingegen der Besuch von Angela Merkel: Sie ließ sich für ein zweistündiges Gespräch mit Samaras nach Athen einfliegen, kein Kontakt mit der Opposition, wie es bei Auslandsbesuchen üblich ist, kein Kontakt mit der Bevölkerung, nicht die kleinste symbolische Geste, dass die drohende soziale Katastrophe in Griechenland einen Gedanken wert ist. Wenn der Besuch eines Kinderkrankenhauses oder eines Flüchtlingslagers und die Teilnahme an einer Massendemonstration gegen weitere Spardiktate Vaterlandsverrat ist, so bin ich gerne ein Vaterlandsverräter.

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko