Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Diese EU-Politik spaltet die Ukraine

Seit Wochen demonstrieren in Kiew viele Menschen für ein Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU. Warum sie sich nicht von Merkels falschen Versprechungen täuschen lassen sollten, erläutert Andrej Hunko, Europapolitiker der Bundestagsfraktion der LINKEN, im marx21-Gespräch.

Unterstützt du die Massenproteste in der Ukraine?

Ich beteilige mich oft an außerparlamentarischen Bewegungen. Aber in diesem Fall sollten wir genau hinschauen, worum es geht.

Was meinst du damit?

Die Bewegung wird von den EU-Spitzen für eine aggressive Frontstellung gegen Russland missbraucht. Das wird die Spannungen in einem Land verschärfen, in dem die Hälfte sich eher an Russland und die andere Hälfte an der EU orientieren. Außerdem ist der aktive Kern von der faschistischen Svoboda-Partei dominiert.

Ist es möglich, dass eine Massenbewegung für etwas völlig falsches demonstriert?

Ich würde nicht von richtig oder falsch sprechen Ebenso wie im Parlament gibt es auch außerparlamentarisch Entwicklungen, die ich unterstützen oder ablehnen würde. Zum Beispiel haben in Frankreich Hunderttausende in Paris gegen die Einführung der Ehe für Homosexuelle demonstriert. Außerdem dürfen wir den Medien nicht glauben, dass in Kiew gerade die wichtigste Demokratiebewegung Europas stattfindet.

Wieso nicht?

Zum Beispiel haben am 1. Dezember auf einer Demonstration der französischen „Front de Gauche“ mehrere 10.000 Menschen für eine „Revolution der Steuern“ demonstriert. Aber unsere Fernsehsender zeigen uns nur, wie leidenschaftlich die Ukrainer angeblich für die EU kämpfen.

Ist die Oppositionsbewegung in der Ukraine rechts?

Sicher gehen viele Menschen mit der Hoffnung auf mehr soziale Gerechtigkeit auf die Straße. Aber leider lassen sie sich dabei von zwei konservativen und einer faschistischen Oppositionspartei führen.

Welche Parteien sind das?

Vitali Klitschkos Partei „Udar“ ist christlich-konservativ und marktliberal. Sie dient hauptsächlich dazu, Klitschkos große Bekanntheit als Boxweltmeister für Wahlerfolge zu benutzen. „Udar“ ist das ukrainische Wort für „Schlag“. Die Partei „Vaterland“ der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin Julija Timoschenko ist politisch ähnlich einzuschätzen.

Und die dritte Partei?

Leider ist Klitschko nicht davor zurückgeschreckt, die faschistische „Swoboda“ öffentlich in sein Bündnis aufzunehmen. Ihre Mitglieder sprengen an Universitäten linke Veranstaltungen und greifen Homosexuelle und Gewerkschafter an. Sie schwenken jetzt bei den Demonstrationen Fahnen der UPA. Das ist eine ukrainische Miliz, die im Zweiten Weltkrieg an der Seite der deutschen Armee kämpfte.

Wie können rechte Parteien eine so große Bewegung führen?

Die Abhängigkeit der Politik vom großen Geld ist in der Ukraine noch viel größer als in Deutschland. Fast alle großen Parteien sind finanziell von Oligarchen, den Milliardären des Landes abhängig und führen aus, was sie wollen. Das gilt sowohl für die Regierung als auch für die Opposition.

Das ist kein Grund, mit Rechtsradikalen zu demonstrieren?

Finde ich auch. Aber es kann Menschen dazu bringen. Ich war letztes Jahr als Wahlbeobachter des Europarates in der Ukraine und habe auch mit Gewerkschaftern gesprochen, die sagten, sie hätten „Swoboda“ gewählt. Sie glaubten, das sei die einzige Partei, die gegen die verbreitete Korruption vorgeht.

Was will Klitschko erreichen?

Er hat als Boxer lange in Hamburg gewohnt und ist dadurch auch in Deutschland bekannt und beliebt geworden. Schon damals trat Klitschko auf Veranstaltungen der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung auf und forderte die Anbindung der Ukraine an die EU. Man kann sagen, dass die UDAR maßgeblich von der Adenauer-Stiftung mit gegründet wurde. Sollte er Präsident der Ukraine werden, so hätte die CDU dort einen ihr ergebenen Mann an der Spitze.

Letzte Woche hat Guido Westerwelle sich dabei filmen lassen, wie er mit Klitschko in Kiew das Protestcamp der Demonstranten besucht hat. Ungewöhnlich für einen Außenminister?

Das verrückte ist ja, dass ein gerade abgewählter Außenminister einer erst vor einem Jahr gewählten Regierung sagt, was sie zu tun oder zu lassen hat. Man kann ja unterschiedlicher Meinung zum Assoziierungsabkommen sein, aber sowohl Janukowitsch und seine Parlamentsmehrheit haben auch das Recht ein Abkommen nicht zu unterschreiben. Auch als jemand der die Bedeutung von sozialen Bewegungen sehr hoch einschätzt, fordere ich dennoch die Respektierung demokratischer und rechtsstaatlicher Spielregeln. Wenn sich der deutsche Außenminister auf einem Platz in Kiew zeigt, der von der faschistischen Swoboda dominiert ist, finde ich das schon ein starkes Stück, auch angesichts der deutschen Geschichte. Man verfolgt offenbar die gleichen Ziele wie im 20. Jahrhundert.

Welche Ziele sind das?

Wegen ihrer geostrategischen Lage zwischen Russland und Deutschland wurde in beiden Weltkriegen um die Ukraine gekämpft. Wenn Deutschland dieses Land kontrolliert, ist das automatisch eine große Bedrohung für Russland. Es ging in der traditionellen deutschen Ostpolitik immer darum, Russland in die Knie zu zwingen.

Gott sei Dank sind wir nicht im Krieg ...

… und trotzdem rücken Truppen aus EU- und NATO-Staaten immer näher an die russische Grenze heran. Die baltischen Staaten, Polen oder Rumänien sind nicht nur der EU, sondern auch der NATO beigetreten. Der stellvertretende Parteivorsitzende von UDAR hat mir gegenüber gesagt, auch die Ukraine soll so schnell wie möglich der NATO beitreten. Kein Wunder, wenn sich Russland eingekreist fühlt und ein neuer kalter Krieg droht.

Marktwirtschaft gegen Kommunismus?

Im Kalten Krieg ging es nicht nur um Weltanschauungen, sondern auch um wirtschaftliche und militärische Einflussgebiete der Großmächte. Wenn der angeblich „freie Westen“ sich diesmal das Deckmäntelchen „Europa“ umhängt, macht das die Sache nicht besser.

Du siehst die Protestbewegung sehr kritisch. Heißt das, du unterstützt Präsident Wiktor Janukowitsch?

Ich unterstütze eine Politik in der Ukraine, die geopolitisch auf einen Ausgleich zwischen der EU und Russland setzt und sich innenpolitisch z.B. gegen die Oligarchisierung der Politik, also die Abhängigkeit vom großen Geld, wendet und für gewerkschaftliche und soziale Rechte eintritt. Ich habe viele junge Ukrainer getroffen, die so denken, aber keinen wirksamen parteipolitischen Ausdruck finden. Die Partei der Regionen von Janukowitsch halten sie für genauso korrupt, wie etwa die Vaterlandspartei von Timoschenko.

Wie können wir dazu stehen?

Wir Linke in Deutschland müssen vor allem aufzeigen, dass „unsere“ Regierung unter dem Begriff „Europa“ eine neo-imperiale Politik macht, die zu einem neuen kalten Krieg mit Russland führen kann. Zu viele Leute glauben noch: Wo „Europa“ draufsteht, sind automatisch Frieden und Freiheit drin.

Außerdem sollte wir für eine Lockerung der restriktiven Visa-Politik eintreten. Viele junge Ukraine suchen den engen Austausch mit der westeuropäischen Zivilgesellschaft und haben mir gesagt, dass sie deshalb für das EU-Assoziierungsabkommen sind. Weil damit auch eine Visa-Liberalisierung vorgesehen ist, obwohl sie die wirtschaftspolitischen Implikationen eigentlich ablehnen.

Die Kommunistische Partei der Ukraine hat bei den Parlamentswahlen letztes Jahr 13 Prozent bekommen. Ist sie eine Alternative?

Die Kommunisten haben in einem größtenteils unpolitischen Wahlkampf als einzige große Partei auch soziale Probleme angesprochen, z.B. die Rentenfrage. Dabei hat die Partei sowohl das angestrebte Bündnis mit Russland unterstützt, als auch IWF-Krediten und den damit verbundenen, neoliberalen Kürzungen zugestimmt.

Eine Beteiligung an einer rechten Regierung?

Zumindest in unserem Sinne keine linke Regierung. Aber ich verwahre mich dagegen, wenn von demokratisch nicht besser legitimierten deutschen und EU-Vertretern zu ihrem Sturz aufgerufen wird.

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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