Das WDR-Magazin Westpol berichtete gestern über unsere Kleine Anfrage zu "vernetzten Fahrzeugen" und dem polizeilichen Wunsch, Autos und Boote aus der Ferne zu stoppen. Hier weitere Hintergrundinformationen, mehr dazu in unserer Kleinen Anfrage.
Mit der Arbeitsgruppe ENLETS haben sich die EU-Polizeien ein neues Technologiezentrum geschaffen. Die Bundesregierung bestätigt, dass ENLETS mit einer Studie betraut wurde, um eine einheitliche Lösung zum ferngesteuerten Manipulieren der Bordelektronik vorzuschlagen, damit „nicht kooperative Fahrzeuge“ gestoppt werden können. Der Vorschlag soll dann der EU-Kommission vorgelegt werden. Ich glaube aber eher, dass die zuständige Ratsarbeitsgruppe ‚Strafverfolgung‘ hierzu tätig werden wird.
Ich halte das für Polizeiphantasien aus Entenhausen. Die Vorhaben erinnern an Szenarien aus Computerspielen. Ich kritisiere aber nicht nur den technologischen Machbarkeitswahn, sondern auch den Zweck: Denn es ist nirgends belegt, dass die Polizeien der EU-Mitgliedstaaten wirklich gehäuft mit „nicht kooperativen“ Autos oder Booten zu kämpfen hätten – außer bei Verfolgungsjagden an den technisch hochgerüsteten EU-Außengrenzen. Ich glaube daher, dass hier weitere Millionen in die Abwehr von unerwünschter Migration versenkt werden. Später könnte die Technik auch im Inland salonfähig werden.
Das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei hatten bereits vor mehreren Jahren Marktbeobachtungen durchgeführt und sich mit dem Rüstungskonzern Diehl getroffen. Damals war die Technik aber nicht reif, vor allem waren die Geräte zu groß. Das soll sich mit dem EU-Projekt namens SAVELEC ändern: Zusammen mit dem Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt wird eine miniaturisierte Strahlenwaffe entwickelt, die dann in Polizeifahrzeugen mitgeführt werden kann. Ich halte dies für brisant: Personen mit Herzschrittmachern könnten dadurch getötet werden, ferngesteuerte Bremsungen könnten Unfälle verursachen. Auch das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt forscht gegenwärtig in einem EU-Projekt zur Miniaturisierung dieser Mikrowellenwaffen, um sie in Polizeifahrzeugen mitzuführen. Ein anderes EU-Vorhaben befördert die polizeiliche Bewaffnung von Drohnen mit Netzen, Nagelbrettern oder Sprühgeräten, um Autos und Boote aus der Luft zu stoppen.
Derartige Forschungen werden von der EU-Kommission koordiniert. Im Ergebnis soll eine EU-weit einheitliche Lösung folgen. Wir sehen hier ein weiteres Beispiel dafür, wie die Aufrüstung der inneren Sicherheit über die Ebene der EU vollzogen wird, damit der Protest die Innenministerien im eigenen Land verschont. Dabei liegen auch deutsche Polizeien auf der Lauer oder sind sogar an Projekten beteiligt. Das Bundesinnenministerium signalisiert in der Antwort, man hätte Interesse an den entwickelten Lösungen. Häufig wird die Technik an Orten erprobt, wo der Einsatz entweder wenig bemerkt wird oder zunächst ungefährlich ist. Der polizeiliche Einsatz großer Drohnen oder die Satellitenüberwachung werden beispielsweise derzeit im Mittelmeer gegen unerwünschte Migranten getestet. Ich gehe davon aus, dass auch die Mikrowellenwaffen zunächst gegen Autos oder Boote von Migranten gerichtet werden.
Wir beobachten bei zahlreichen Projekten der Sicherheitsforschung, dass die ethische Begleitforschung zwar vorgeschrieben ist, aber vernachlässigt wird. Ich weiß von einer befreundeten Technik-Soziologin, dass in diesen Kreisen oft Angebote der Projektmacher zirkulieren, kurz vor Schluss noch schnell eine ethische Bewertung zusammenzuzimmern. Was soll das mit Datenschutz und Bürgerrechten zu tun haben? Es geht vielmehr darum, ein wenig Prosa zusammenzustellen, damit die EU-Kommission zufrieden ist.
Wir wissen, dass das was technisch machbar ist, früher oder später auch umgesetzt wird. Andere Beispiele sind Drohnen, Satellitenüberwachung oder die computergestützte Überwachung der Telekommunikation. Die Anwendungen werden häufig von Rüstungskonzernen entwickelt, die für ihre Forschungen öffentliche Gelder erhalten. Dann wird die Technik für polizeiliche Anwendungen umgemünzt. Deutsche Konzerne wie EADS (jetzt Airbus Space and Defence), Rheinmetall oder Diehl verdienen immer mehr Geld mit dem Verkauf an zivile Sicherheitsbehörden. Ich betone noch einmal: Datenschutz und Bürgerrechte interessieren dabei kaum.
Das größte Problem liegt aber darin, dass es keine Auseinandersetzung die zunehmend digitale Vernetzung von Fahrzeugtechnik und den damit verbundenen neuen polizeilichen Begehrlichkeiten gibt: Die Bundespolizei hat geprüft, wie serienmäßig in Fahrzeugen verbaute GPS-Empfänger und SIM-Module polizeilich genutzt werden könnten. Mit ähnlicher Zielsetzung ist das staatliche Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt an der Entwicklung eines einheitlichen GPS-Tracking auf europäischer Ebene beteiligt. Es soll polizeiliche Bespitzelungen EU-weit erleichtern.
Viele der neuen vernetzten Funktionen sind nicht deaktivierbar. Dies gilt auch für den bald EU-weit vorgeschriebenen „e-Call“, der bei unvorhergesehenen Vorfällen oder Unfällen einen Notruf absetzt und die Position mitteilt. Wie bei der Freiheit der Telekommunikation greifen die Systeme aber tief in die Privatsphäre ein.
Deshalb braucht es Regelungen zum Datenschutz und zur Verhinderung des polizeilichen Zugriffs auf Fahrzeuge und ihre Bewegungsdaten. Möglich wäre etwa, „No-Spy“-Regeln in das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr aufzunehmen. Unabhängige Bürgerrechts- und Datenschutzgruppen könnten „No-Spy“-Zertifikate für Neuwagen oder einzelne Anwendungen vergeben. Hierfür ist es zwingend, dass die Fahrzeughersteller den Quellcode der Software zur Prüfung offenlegen. Vorher ist aber eine öffentliche Auseinandersetzung über die polizeiliche Nutzung der Daten unerlässlich.
Die Bundesregierung meint, beim Einsatz der Technik müssten allgemeine gesetzliche Bestimmungen berücksichtigt werden. Jedoch wird der Datenschutz bei den Vorhaben klein geschrieben: Noch keine deutsche Behörde hat sich hiermit befasst. Ich appelliere daher an die Bundesregierung, die bisherigen Forschungen zu stoppen und sich auch auf EU-Ebene für ein Ende der Polizeiphantasien aus Entenhausen einzusetzen.