Ob TTIP oder Ukraine: Im »Club von Venedig« beraten sich Sprecher der Regierung mit EU und NATO zu außenpolitischen Themen
Von Andrej Hunko
Regierungssprecher aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union tauschen sich regelmäßig mit EU-Institutionen darüber aus, wie heikle politische Fragen in Print- und Onlinemedien dargestellt werden können. Auch im Auswärtigen Amt (AA) gibt es eine Kommunikationsabteilung, die Beauftragte zu derartigen Workshops entsendet. In der Antwort auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten der Partei Die Linke erklärte das AA Mitte Oktober erstmals bisher unbekannte Details der »Medienarbeit«.
1986 hatten die damals zwölf Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft hierfür den »Club von Venedig« gegründet. Entsprechende Treffen werden von der EU-Kommission und dem Ratssekretariat vorbereitet und veranstaltet. Ziel sei, die Politik der EU-Institutionen aus den Mitgliedsstaaten zu unterstützen. Zweimal im Jahr trifft man sich zu Plenumssitzungen, hinzu kommen anlassbezogene »Experten-Workshops« zu bestimmten »Kommunikationsthemen«. Weil es sich um ein ausdrücklich informelles Format handelt, werden keine Protokolle geschrieben. Erst seit drei Jahren kümmert sich der Club um die Eigendarstellung auf einer Webseite.
Die Bundesregierung ist Gründungsmitglied des »Club von Venedig«. Zu den Treffen werden normalerweise stellvertretende Regierungssprecher entsandt. Das Bundespresseamt schickt auch Abteilungsleiter, Referatsleiter oder Referenten. Laut Antwort des AA hätten die Vertreter der Bundesregierung mehrmals über eigene Kommunikationsprojekte referiert und Erfahrungsberichte vorgestellt. Auch der »Austausch zu neuen Kommunikationstechniken« sei eingebracht worden. Im »Club von Venedig« stehe die sogenannte »Public diplomacy« im Mittelpunkt. Die Bundesregierung versteht darunter »Dialoge mit Bürgern und zivilgesellschaftlichen Gruppen«. Noch viel wichtiger sei aber die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Vertretungen der BRD im Ausland, um dort »deutsche Politik zu vermitteln«.
Der Austausch im »Club von Venedig« wird als »gegenseitige Unterstützung bei der kommunikativen Begleitung komplexer politischer Herausforderungen« beschrieben. So hat sich der Club beispielsweise mit »Kommunikationsherausforderungen« hinsichtlich TTIP befasst. Dabei dürfte im Vordergrund gestanden haben, wie das Freihandelsabkommen mit den USA schöngeredet und der Widerstand dagegen gebrochen werden kann. Weitere Themen waren die regierungsamtliche Darstellung von Migrationsströmen oder das Sprachregelung zu »terroristischen Anschlägen in den EU-Mitgliedstaaten«. Die EU will radikalisierte Jugendliche oder Erwachsene nun mit »Gegenerzählungen« im Internet bekehren. Weil ihnen eine »authentische Ansprache« zuzutrauen sei, sollten bekannte und unter Jugendlichen respektierte Youtuber »deradikalisierende« Botschaften aussenden.
Auf den beiden letzten Plenarsitzungen hatten die Clubmitglieder die »Kommunikation in der Russland/Ukraine-Krise« auf die Tagesordnung gesetzt. Hierzu durfte unter anderem eine Vertreterin der NATO-Abteilung »Strategische Kommunikation« auftreten. Es liegt auf der Hand, dass es bei den Diskussionen nicht um eine ausgewogene Darstellung des Konfliktes geht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass im »Club von Venedig« ausbaldowert wird, wie die einheitliche Schuldzuweisung an Russland in europäischen Medien umgesetzt werden kann. Laut der Antwort der Bundesregierung würden zu entsprechenden Diskussionen des Clubs auch Lobbyisten eingeladen. Beschrieben werden diese als »Expertinnen von Thinktanks, Stiftungen oder wissenschaftlichen Einrichtungen«. Um welche es sich dabei handelt und inwiefern sich diese auch zur medialen Inszenierung des Ukraine-Konfliktes äußerten, ist aber nicht zu erfahren.
Erschienen in der Tageszeitung junge Welt vom 28.10.2015
Download der Antwort auf die Kleine Anfrage "Abstimmung europäischer Kommunikationsstrategien im Club von Venedig" auf deutsch
Download of the minor interpellation "The coordination of European communication strategies in the Club of Venice" in english