Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Sevim Dağdelen,Ali Al-Dailami, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.– Drucksache 20/5323 –

Vorbemerkung der Fragesteller

Ab Oktober 1965 fanden in Indonesien monatelang grausame Massaker an der Zivilbevölkerung statt, denen nach verschiedenen Schätzungen eine halbe Million bis über 2 Millionen Menschen zum Opfer fielen (Gellately, R., Kiernan, B. (Hg.): The Specter of Genocide: Mass Murder in Historical Perspecti-ve. Cambridge 2003, S. 290 f.). Als Rechtfertigung nutzten die Täter einen ge-scheiterten Putschversuch von Teilen des Militärs, für den sie fälschlicherwei-se der Kommunistischen Partei (Partai Komunis Indonesia – PKI) die Verant-wortung zuschrieben. Die PKI war damals eine der größten Kommunistischen Parteien der Welt und wurde dem erklärten Ziel entsprechend fast vollständig physisch vernichtet. Auch Mitglieder der chinesischen Minderheit fielen den Massakern zum Opfer.

In der historischen Forschung ist die Frage, ob die Massaker als Völkermord (Genozid) einzustufen sind, nicht abschließend geklärt. Gewichtige Argumen-te sprechen nach Ansicht vieler Forscherinnen und Forscher dafür, eine solche Einstufung vorzunehmen (u. a. Melvin/Pohlman (2018): A Case for Genocide: Indonesia, 1965–1966, in: McGregor/Melvin/Pohlman: The Indonesian Geno-cide of 1965, Palgrave Macmillan, S. 27–47). Auch das von Juristen und Men-schenrechtlern gegründete Internationale Tribunal zur Aufarbeitung der Mas-saker in Indonesien spricht von einem Genozid. In einem Buchband über die Ergebnisse des Tribunals heißt es: „Die Massentötungen sind vielleicht das deutlichste Beispiel für einen Völkermord an einer soziopolitischen Gruppe im zwanzigsten Jahrhundert.“ (Wieringa/Melvin/Pohlman (2019): The Inter-national People's Tribunal for 1965 and the Indonesian Genocide, Routledge, S. 1).

Bis heute wurden die Verantwortlichen für die Verbrechen nicht strafrechtlich belangt und viele von ihnen werden für ihre Taten als Helden betrachtet. Nach dem Ende der mehr als drei Jahrzehnte dauernden Suharto-Diktatur leiden viele Opfer und deren Angehörige bis heute unter politischer Verfolgung. Auch die aktuelle indonesische Regierung unter Präsident Joko Widodo treibt die Aufarbeitung der Verbrechen kaum voran. Durch ein Präsidialdekret beabsichtigt sie, die Massaker und andere Menschenrechtsverletzungen lediglich außergerichtlich aufzuarbeiten. Menschenrechtsgruppen werfen ihr deshalb vor, den Tätern Straffreiheit zu garantieren („Analysis: Jokowi seeks to circumvent courts in resolving human rights violations”, thejakartapost.com, 31. August 2022).

Schon in den 70er-Jahren wurden erste Informationen darüber bekannt, dass neben den USA auch die Bundesrepublik Deutschland zumindest indirekt die Massaker unterstützt haben soll. So berichtete „DER SPIEGEL“ im Jahr 1971, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) „Indonesiens militärischen Nach-richtendienst 1965 mit Maschinenpistolen, Funkgeräten und Geld (Gesamtwert: 300 000 Mark) bei der Niederwerfung eines Links-Putsches in Djakarta“ unterstützte (DER SPIEGEL, 11/1971). „Ein Kommando von BND- Männern bildete in Indonesien militärische Geheimdienster [sic] aus und löste die von der antiamerikanischen Propaganda hart bedrängten Kollegen von der CIA ab. 1965 sollten die BND-Ausbilder sogar in einen Bürgerkrieg eingreifen: durch Lieferung sowjetischer Gewehre und finnischer Munition an Indonesiens Ar-mee.“ (DER SPIEGEL, 23/1971).

In den Antworten auf die Kleine Anfrage im Jahr 2014 auf Bundestagsdrucksache 18/1554 bestritt die damalige Bundesregierung Erkenntnisse über „Verstrickungen deutscher Stellen in Gewalttaten in Indonesien vor 50 Jahren“. Die damalige Bundesregierung und auch der BND hätten „die in der Frage bezeichneten Gewalttaten nach heutigem Kenntnisstand weder direkt noch in-direkt unterstützt“. In Bezug auf mögliche materielle Unterstützungsleistung des indonesischen Militärs (Rüstungsgüter, Geld und andere Güter) teilte die damalige Bundesregierung mit, dass ihr „für den Zeitraum von 1964 bis 1970 […] keine Daten mehr vor[liegen]. In den bislang erschlossenen Akten des Bundesnachrichtendienstes findet sich kein Beleg für eine Unterstützung durch den Bundesnachrichtendienst im Sinne der Anfrage.“

Zugleich bestätigte die damalige Bundesregierung jedoch, dass „die Reaktion der Bundesrepublik Deutschland auf den Putschversuch vom 1. Oktober 1965 […] wesentlich von den Rahmenbedingungen des Kalten Kriegs bestimmt“ gewesen seien. Konkret ging es der damaligen Bundesregierung u. a. darum, eine mögliche Anerkennung der DDR durch Indonesien zu verhindern. Zu-gleich spricht vieles dafür, dass die Bundesregierung dem im Zuge der Massa-ker betriebenen Sturz des mit der PKI koalierenden Präsidenten Sukarno positiv gegenüberstand.

Aus Sicht der 2014 amtierenden Bundesregierung bleibt „eine Analyse der Reaktion der damaligen Bundesregierung […] der wissenschaftlichen histori-schen Forschung überlassen“. Tatsächlich haben sich in diesem Bereich seit-dem neue Erkenntnisse ergeben.

So geht aus Akten des Auswärtigen Amts hervor, dass die damalige Bundes-regierung schon sehr früh und kontinuierlich Kenntnisse über das gewaltige Ausmaß der Massaker hatte. Hunderte Akten aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA) wurden nach Recherchen durch „Redfish“ im In-ternet veröffentlicht („Indonesiens Völkermord von 1965: Deutschlands unbe-kannter Krieg gegen den Kommunismus“, redfish.media, 30. September 2022). Außerdem veröffentlichte die Nachrichtenwebsite T-Online mehrere Recherchen über die Rolle des BND (s. u.).

Schon im Januar 1965 berichtete der Militärattaché der Botschaft in Jakarta an das Bundesministerium der Verteidigung in Bonn über ein Massaker in Indo-nesien, das „vorsorglich und probeweise“ verübt worden sei, „um zu erfahren, wie die Kommunisten darauf reagieren“ würden. 1 400 kommunistische Plan-tagenarbeiter seien festgenommen worden, von denen schließlich 1 000 ermordet wurden (Dokument vom 8. Januar 1965, Politisches Archiv des Aus-wärtigen Amts: Bestand 37, Referat IB5, Band 169A [im Folgenden in der Kurzform: PA AA: B 37-REF. IB5/169A]). Zuletzt berichteten auch deutsche Medien über einen BND-internen Bericht vom 3. November 1965, in dem davon die Rede ist, dass es „ein regelrechtes Abschlachten von Kommunisten“ gebe (Jonas Mueller-Töwe: „Der Genozid und Deutschlands heimliche Hilfe“, t-online.de, 13. Juli 2020). Fünf Tage später sei dann in einem weiteren Doku-ment eine „dringende Bitte“ nach finanzieller Unterstützung der indonesischen Generäle an Deutschland erörtert worden. Dabei sei es um „Geldmittel“ gegangen, „die – aus naheliegenden Gründen – nicht der indonesischen Staatskasse entnommen werden können“.

Im Dezember 1965 findet sich in den Akten des Auswärtigen Amts der Hin-weis, dass „die indonesischen Streitkräfte die kommunistische Partei systematisch vernichten“ wollten (Dok. 3. Dezember 1965, PA AA: B 37-REF. IB5/173). Am 14. Dezember 1965 berichtete der deutsche Botschafter über das Ausmaß der Massaker. Die Armee und muslimische Bevölkerungsteile gingen „außerhalb Jakartas mit verbissener Härte und zum Teil unmenschlicher Grausamkeit“ gegen die Kommunisten vor. Bis zu diesem Zeitpunkt seien nach „Schilderungen glaubwürdiger Zeugen aus der Provinz, einzelner, der Botschaft zugänglich gemachter vertraulicher indonesischer Berichte und nach Schätzungen befreundeter Missionen“ mindestens 128 000 Menschen getötet worden, die überwiegende Mehrheit Kommunisten. In der Provinz Atjeh habe der Militärgouverneur erklärt, dass „das Verbot der PKI […] infolge der physi-schen Auslöschung der Kommunisten dort nur noch theoretischer Natur sei“ (Dok. 14. Dezember 1965, PA AA: B 37-REF. IB5/170).

Ebenfalls im Dezember 1965 erwähnte Rolf Otto Laar, Staatssekretär im Aus-wärtigen Amt, den Besuch des indonesischen Brigadegenerals Achmed Sukendro in Bonn am 26. November 1965. Dieser habe dort „die offiziellen Zah-len der Todesopfer vorgetragen. Diese seien jedoch unrichtig“. Dann zitiert er die eben erwähnten Zahlen des deutschen Botschafters. „In Atjeh und Madura sei die kommunistische Partei vollständig ausgerottet worden“, „Das Morden gehe in der Stille, aber mit unglaublicher Verbissenheit und Grausamkeit wei-ter.“ (Dok. 17. Dezember 1965, PA AA: B 37-REF. IB5/172).

Aus anderen Dokumenten geht hervor, dass der Botschafter in Jakarta General Sukendro als „einen der fähigsten und energischsten Antikommunisten“ schätzte. „Im Vorfeld des Treffens kabelt er an Staatssekretär Carstens: Schon vor Monaten habe Sukendro ihm gesagt, ‚die Armee warte nur auf den Vor-wand, die Kommunisten zu vernichten‘.“ (Jonas Mueller-Töwe: „Der Genozid und Deutschlands heimliche Hilfe“, t-online.de, 13. Juli 2020).

Doch war die damalige Bundesregierung nach Ansicht der Fragesteller nicht nur früh über die Massaker informiert, es verdichten sich nach Ansicht der Fragesteller auch die Hinweise darauf, dass sie die Täter aktiv unterstützte. Zur Hochphase der Massaker im Oktober 1965 rechtfertigten Mitarbeiter des Auswärtigen Amts die Ausfuhr von Pistolengriffen nach Indonesien: „Es wäre nicht zu vertreten, wenn wir der indonesischen Armee, die zur Zeit gegen die kommunistische Partei mit Waffengewalt vorgeht, diese indirekte Hilfe verweigern würden“, hieß es in einem Dokument des Auswärtigen Amts (Dok. 26. Oktober 1965, PA AA: B 57-REF. 405/IIIA4/122). Es solle lediglich da-rauf geachtet werden, „dass die Pistolengriffe kein Kennzeichen als deutsches Produkt erhalten“.

Im November 1965 wird in einem BND-Dokument die „dringende Bitte“ der indonesischen Generäle an Deutschland nach finanzieller Unterstützung erör-tert. „Es geht um ‚Geldmittel, die – aus naheliegenden Gründen – nicht der indonesischen Staatskasse entnommen werden können‘. Die Junta erhofft sich demnach eine Barzahlung in Höhe von 1,2 Mio. D-Mark für die Fortsetzung der ‚antikommunistischen Säuberungsaktion‘. Das Geld werde ‚hauptsächlich für Sonderaktionen gegen KP-Funktionäre und zur Durchführung von gesteu-erten Demonstrationen benötigt‘, heißt es in der Akte. Außerdem solle damit ‚antikommunistisches Propagandamaterial‘ hergestellt und verteilt werden.“ (Jonas Mueller-Töwe: „Der Genozid und Deutschlands heimliche Hilfe“, t-on-line.de, 13. Juli 2020). Ob und in welcher Höhe schließlich Gelder flossen, ist nicht abschließend geklärt. Einige Indizien weisen jedoch darauf hin, dass es finanzielle Unterstützung gab (ebd.).

Auch auf formellen Wegen gab es Bitten aus Indonesien um finanzielle Unter-stützung. In einem Schreiben vom 10. Dezember 1965 unterrichtete der deutsche Botschafter in Jakarta, Luitpold Werz, das Auswärtige Amt darüber, dass ein „hochrangiger Beamter des indonesischen Außenministeriums […] im Auftrag des Heeres“ um finanzielle Hilfen gebeten habe (Akten zur Auswärti-gen Politik der Bundesrepublik Deutschland (1965), München: Oldenbourg, 2013, S. 1877 f.). Werz habe ihm geantwortet, dass es „vor der Entscheidung über größere Kredithilfen […] notwendig [sei] zu wissen, wohin Indonesien gehe“. Nachdem der indonesische Beamte versicherte, der „anti-kommunistische Kurs werde konsequent fortgesetzt“, habe der deutsche Botschafter versi-chert, „trotz bestehender Etatschwierigkeiten die indonesischen Wünsche mit freundlichem Wohlwollen zu behandeln“. Etwa zeitgleich informierte die Bot-schaft das Auswärtige Amt darüber, dass bereits weit über 100 000 Menschen massakriert wurden (s. o.).

Auch auf anderen Wegen wollte die damalige Bundesregierung ihr „Wohlwollen“ gegenüber der Militärregierung zeigen. Aus Dokumenten des Auswärtigen Amts vom Frühjahr 1966 geht hervor, dass die Bundesregierung sich über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) ärgerte, weil dieser dem Sohn des indonesischen Außenministers Adam Malik ein Stipendium verweigert habe. Malik sei „gegenwärtig wichtigster Mann der indonesischen Regierung“ und empfinde die Ablehnung als „Ohrfeige“. Deshalb bemühte man sich um eine Finanzierung des Stipendiums aus Mitteln des Auswärtigen Amts oder des Bundeskanzleramtes (Dok. 21. April 1966, PA AA: B 130-VS-REG/2586A).

In einem geheimen Schreiben der Botschaft in Jakarta an das Auswärtige Amt vom 12. Oktober 1967, keine zwei Jahre nach dem Ende der Hochphase der Massaker, werden in Dokumenten des Auswärtigen Amts mehrere Schreiben vom Sommer/Herbst 1967 des Militärattachés an das Bundesverteidigungsmi-nisterium erwähnt. Dieser habe die „Ausbildung indonesischer Nachrichtenof-fiziere beim BND und Zusammenarbeit bzw. Nachrichtenaustausch über Kommunismus befürwortet“. Im selben Bericht wird darauf hingewiesen, dass das Auswärtige Amt „in Rechnung stellen“ müsse, dass diese Kooperation „angesichts des Übereifers mancher indonesischer Stellen […] zu politischem Ärger führen kann“ (Dok. 11. Oktober 1967, PA AA: B 130 VS-REG/903). Zur selben Zeit erlaubte die damalige Bundesregierung einem indonesischen Nachrichtendienst, in Westdeutschland tätig zu werden und dort indonesische Staatsangehörige auszuspionieren. Zuständig für den Kontakt sollte der Ver-fassungsschutz sein, weil „Fragen der inneren Sicherheit“ berührt seien (Dok. 10. Oktober 1967, PA AA: B 130-VS-REG/2586A).

Im Juli 1966 sowie im Juni und November 1968 erklärte das Auswärtige Amt gegenüber anderen Bundesministerien, „keine Bedenken“ gegen die Lieferung von Waffen an die indonesische Regierung bzw. das Militär zu haben. Dabei ging es um Nitroglycerinpulver (Dok. 4. Juli 1966, PA AA: B 57-REF. 405/IIIA4/122), Jagdpanzer (Dok. 8. Juli1966, PA AA: B 57-REF. 405/IIIA4/122), 10 000 Heckler & Koch-G3-Gewehre (Dok. 27. Juni 1968, PA AA: B 57-REF. 405/IIIA4/122) und 20 Millionen Patronen „ohne NATO-Markierung“ (Dok. 19. November 1968, PA AA: B 57-REF. 405/IIIA4/122).

Aus freigegebenen Akten des US-Auslandsgeheimdienstes CIA geht laut Presseberichten darüber hinaus hervor, dass der BND auch personell in Indonesien engagiert war – teils durch ehemalige Nazis wie den SS-Obersturm-bannführer Rudolf Oebsger-Röde (René Heilig: „Der BND und seine ‚Operation Jakarta‘, Neues Deutschland, 19. Juli 2020). Er arbeitete in Indonesien „unter dem Namen O. G. Roeder sowohl als BND-Mitarbeiter als auch als Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung“ (Rainer Werning: „Kontrollierte Konterrevolution“, Blickwechsel, Oktober 2016).

Dass die Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland für das mordende in-donesische Militär nicht unbedeutend war, darauf deuten auch Aussagen des Journalisten Erich Schmidt-Eenboom hin. In einem 2014 erschienenen Buch zitierte dieser aus dem Entwurf eines Vortrags, den der spätere BND-Chef Gerhard Wessel im Jahr 1968 vor dem Vertrauensgremium des Deutschen Bundestages gehalten haben soll. Demnach hätten „im Oktober 1965 bereits bestehende enge Verbindungen“ zum indonesischen strategischen Nachrichtendienst (ND) die „Unterstützung (Berater, Geräte, Geld) des indonesischen ND und militärischer Sonderorgane bei Zerschlagung der KPI (und Entmach-tung Sukarnos – Steuerung und Unterstützung von Demonstrationen)“ ermöglicht. „Nach Ansicht indonesischer Politiker und Militärs (Suharto, Nasution, Sultan) großer Anteil BND am Erfolg.“ (zitiert nach Jonas Mueller-Töwe: „Deutschland deckte blutigen Putsch“, t-online.de, 27. Oktober 2017).

In dieselbe Richtung deuten Aussagen des westdeutschen Botschafters in Jakarta ab 1967, dem ehemaligen SA-Mitglied, Kurt Lüdde-Neurath. „Die Zer-schlagung der indonesischen Linken stimmte die Staaten der westlichen Welt siegesgewiss. Hunderttausende getötete Kommunisten böten eine ausreichen-de Garantie, dass die neue Regierung alles tun werde, um einen erneuten Linksruck im Land zu verhindern“ (Anett Keller: „Indonesiens Opfer“, Le Monde Diplomatique, 8. Oktober 2015)

1.Hält die Bundesregierung an ihrer Feststellung von 2014 fest, dass die „Bundesregierung und auch der Bundesnachrichtendienst“ die Massaker in Indonesien „nach heutigem Kenntnisstand weder direkt noch indirekt unterstützt“ haben (Bundestagsdrucksache 18/1554; bitte begründen)?

Die amtlichen Akten zu Ereignissen in Indonesien im Jahre 1965 stehen der Öffentlichkeit im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen zur Auswertung zur Verfügung. Die historische Bewertung damaliger Ereignisse, Entscheidungen und Maßnahmen ist Aufgabe und Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.

Im Weiteren wird auf die Antworten der Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen 9-339 vom 29. September 2020, 7-225 und 7-226 vom 10. August 2020 sowie auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage 18/1554 vom 27. Mai 2014 verwiesen.

2.Sind der Bundesregierung die in der Vorbemerkung der Fragestellerinnen und Fragesteller erwähnten Forschungsergebnisse zur Rolle der Bundes-regierung und deutscher Geheimdienste im Zusammenhang mit den Ge-walttaten in Indonesien bekannt?

Die Bundesregierung verfolgt kontinuierlich die in der Wissenschaft und in an-deren Foren stattfindenden Diskussionen.

3.Stellen die in den Monaten ab Oktober 1965 in Indonesien mit dokumentierter Vernichtungsabsicht begangenen Massaker nach Ansicht der Bundesregierung einen Völkermord dar, und wenn nein, warum nicht?

Die Bundesregierung begrüßt die wissenschaftliche Aufarbeitung historischer Vorgänge unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten mit dem von der Bundesregierung geteilten Ziel, Straflosigkeit für schwere Menschenrechtsverletzungen und andere Völkerrechtsstraftaten zu vermeiden. Eine abschließende histo-rische oder juristische Aufarbeitung bzw. Bewertung der Ereignisse in Indone-sien in den Jahren 1965 bis 1966 steht bisher aus. Es obliegt nicht der Bundes-regierung, durch politische oder rechtliche Äußerungen zu den Geschehnissen in Indonesien wissenschaftlich fundierten, zivilgesellschaftlichen, internationa-len und insbesondere nationalen Aufarbeitungen vorzugreifen.

4.Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, zu welchem Zeit-punkt die damalige Bundesregierung über das Ausmaß der Massaker in Indonesien 1965 informiert war?

Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Zeitpunkt, zu dem die damalige Bundesregierung darüber informiert war, dass das indonesische Militär beabsichtigte, die PKI physisch zu vernichten?

6.Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Rüstungsgüter, Geld und andere Güter, die von Seiten deutscher Stellen oder privater Unternehmen dem indonesischen Militär, der indonesischen Regierung, indo-nesischen Geheimdiensten oder anderen indonesischen Organisationen, die direkt oder indirekt an den Massakern beteiligt waren, in den Jahren von 1964 bis 1970 zur Verfügung gestellt wurden?

7.Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Informationen, die von Seiten deutscher Stellen oder privater Unternehmen dem indonesischen Militär, der indonesischen Regierung, indonesischen Geheimdiensten oder anderen indonesischen Organisationen in den Jahren von 1964 bis 1970 zur Verfügung gestellt wurden und die im Zusammenhang mit der Verfolgung von Mitgliedern und Sympathisanten der PKI sowie der chi-nesischen Minderheit in Indonesien hätten genutzt werden können?

Die Fragen 4 bis 7 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam be-antwortet. Die erfragten Informationen betreffen Ereignisse in den Jahren 1964 bis 1970. Betroffen ist angesichts des über fünf Jahrzehnte zurückliegenden Zeitraumes in erster Linie Archivgut. Nach dem – hier gegebenen – Ablauf der Schutzfristen steht Archivgut nach den Vorschriften des Bundesarchivgesetzes grundsätzlich der Öffentlichkeit zur Verfügung, so dass die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag weder einen Wissensvorsprung noch weitergehende Rechte bei der Informationserhebung hat. Sie verweist deshalb auf die Möglichkeit selbständiger Informationserhebung aus den Beständen des Bundesarchivs und des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes.

8.Wie viele Mitarbeiter des BND waren nach Kenntnis der Bundesregie-rung in den Jahren von 1965 bis 1968 in Indonesien im Einsatz?

Die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, die in den Jahren 1965 bis 1968 in Indonesien im Einsatz waren, lässt sich mangels bestehender Organisations- oder Personenübersichten nicht präzise feststellen. Aus den händisch überprüften Akten konnten bisher drei Personen festgestellt werden, die im Zeitraum von 1965 bis 1968 in Indonesien für den Bundesnachrichtendienst tätig waren.

9.Welche Aufgaben hatten nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren von 1965 bis 1968 in Indonesien eingesetzte Mitarbeiter des BND?

Die in den Jahren 1965 bis 1968 in Indonesien Eingesetzten waren im Rahmen der Beschaffung von Informationen für den Bundesnachrichtendienst tätig.

10.Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Arbeit von Rudolf Oebsger-Röder alias „O. G. Roeder“ im Auftrag des BND?a)Kann die Bundesregierung bestätigen, dass Rudolf Oebsger-Röder für den BND gearbeitet hat, und wenn ja, von wann bis wann?b)Kann die Bundesregierung bestätigen, dass Rudolf Oebsger-Röder in Indonesien für den BND gearbeitet hat, und wenn ja, von wann bis wann?

Dr. Rudolf Oebsger-Röder war von 1948 bis 1966 und innerhalb dieses Zeit-raums von Dezember 1959 bis Dezember 1962 sowie von Juli 1964 bis März 1966 in Indonesien für die Organisation Gehlen bzw. den nachfolgenden Bun-desnachrichtendienst tätig.

11.Stellt die spätestens ab 1967 dokumentierte Geheimdienstkooperation zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Indonesien, die der Suharto-Diktatur u. a. die Überwachung von Oppositionellen in der Bun-desrepublik Deutschland ermöglichte, nach Ansicht der Bundesregierung eine zumindest indirekte Unterstützung der für die Massaker verantwortlichen indonesischen Regierung dar, und wenn nein, warum nicht? a) Hat die Bundesregierung Kenntnis von Operationen indonesischer Sicherheitsbehörden auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland gegen indonesische oder andere (auch deutsche) Staatsbürger? b) Was waren nach Kenntnis der Bundesregierung die Ziele dieser Ope-rationen, und mit welchem Ergebnis wurden sie durchgeführt?

Aus den beim Bundesnachrichtendienst archivierten und recherchierten Akten ergeben sich bisher keine Anhaltspunkte für die These, dass eine Kooperation mit indonesischen Diensten eingegangen wurde, um die Verantwortlichen bei der Ausführung von Gewalttaten direkt oder indirekt zu unterstützen oder die Überwachung von Oppositionellen in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Im Weiteren wird auf die Antwort zu den Fragen 4 bis 7 verwiesen.

12.Hat die Bundesregierung Kenntnis von diplomatischen Protestnoten jed-weder Art, die die damalige Bundesregierung an die indonesische Regierung übermittelte, nachdem sie, wie in der Vorbemerkung der Fragestel-ler beschrieben, von der Art und dem Umfang der Massaker Kenntnis erhalten hatte?

Archivgut steht nach den Vorschriften des Bundesarchivgesetzes grundsätzlich der Öffentlichkeit zur Verfügung, so dass die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag weder einen Wissensvorsprung noch weitergehende Rechte bei der Informationserhebung hat. Sie verweist deshalb auf die Möglichkeit selbständi-ger Informationserhebung aus den Beständen des Bundesarchivs und des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes.

13.In welcher Form war die Aufarbeitung der Massaker in Indonesien und der deutschen Unterstützung der Täter Thema in den diplomatischen Be-ziehungen zwischen Deutschland und Indonesien? a)Hat die Bundesregierung das Thema der Aufarbeitung der Massaker selbst aktiv zum Thema gemacht, und wenn ja, wann, und in welcher Form, und wenn nein, warum nicht? b) Hat die Bundesregierung der indonesischen Regierung Unterstützung bei der Aufarbeitung der Verbrechen und der deutschen Rolle ange-boten, und wenn nein, warum nicht?

Die Aufarbeitung ist Aufgabe der indonesischen Politik und Gesellschaft. Eine solche Aufarbeitung wurde erst mit den politischen und sozialen Reformen („Reformasi“-Prozess) seit 1998 möglich. Die Bundesregierung unterstützte im Rahmen der bilateralen Beziehungen den indonesischen Transformationsprozess hin zu einem demokratischen Rechtsstaat und steht mit Regierungsstellen und Zivilgesellschaft im engen Austausch. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE auf Bundestagsdrucksache 18/1554 verwiesen.

14.Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, um mögliche Verstrickungen deutscher Regierungen, Geheimdienste oder ande-rer der Bundesregierung unterstellter Organisationen mit den für die Massaker in Indonesien Verantwortlichen aufzuklären?

15.Welche wissenschaftlichen Forschungen hat die Bundesregierung in Auftrag gegeben, um die Rolle der Bundesrepublik Deutschland bei den Massakern in Indonesien aufarbeiten zu lassen?

Die Fragen 14 und 15 werden zusammen beantwortet. Aus den der Bundesregierung vorliegenden Erkenntnissen, einschließlich der beim Bundesnach-richtendienst archivierten und recherchierten Akten, lassen sich keine Anhalts-punkte für eine zweckgerichtete Verstrickung deutscher Regierungen, des Bun-desnachrichtendienstes oder anderer der Bundesregierung unterstellter Organi-sationen mit Verantwortlichen für die in Indonesien ab 1965 stattgefundenen Ereignisse erkennen. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung keine wissenschaftlichen Forschungen dazu in Auftrag gegeben.

16.Warum wurde nach Kenntnis der Bundesregierung die Aufarbeitung der Rolle des BND bei den Massakern in Indonesien nicht im Rahmen der Tätigkeit der am 15. November 2011 vom BND selbst berufenen Unab-hängigen Historikerkommission (UHK) zur Aufarbeitung der Geschichte des BND, seiner Vorläuferorganisationen sowie seines Personal- und Wirkungsprofils von 1945 bis 1968 und des Umgangs mit dieser Vergan-genheit behandelt?

Die Unabhängige Historikerkommission (UHK) hat ihren Auftrag eigenständig und wissenschaftlich unabhängig durchgeführt. Sie war in der Auswahl der Themen, Fragestellungen und Zielsetzungen, wie auch in ihrer Arbeitsweise, allein wissenschaftlichen Prinzipien verpflichtet.

17.Hatte die UHK Zugang zu allen diesbezüglichen BND-Akten oder wurde ihr dieser verwehrt?

Der Bundesnachrichtendienst hat der UHK – soweit gesetzlich zulässig – Kenntnis von allen im Bundesnachrichtendienst vorhandenen Materialien, die sich auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand bezogen, gegeben, und alle Materialien, die von der UHK zur Erfüllung ihrer Aufgaben angefordert wur-den, zur Einsicht zur Verfügung gestellt.

18.Wird die Bundesregierung zur Aufarbeitung der deutschen Rolle bei den Massakern in Indonesien alle diesbezüglichen BND-Akten freigeben, und wenn ja, wann genau, und wenn nein, warum nicht?

Die Bundesregierung legt historische Unterlagen umfassend offen, wenn keine gesetzlichen Schutzgründe mehr entgegenstehen.

19.Wird die Bundesregierung zur Aufarbeitung der Rolle von Organen der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit den Massakern in Indonesien eine Historikerkommission einberufen, und wenn nein, warum nicht?

Auf die Antwort zu den Fragen 14 und 15 wird verwiesen.

20.Hat die Bundesrepublik Deutschland öffentlich und formell die Opfer der Massaker bzw. deren Familienangehörige und Nachfahren um Verzeihung für die Tolerierung und Unterstützung der Täter durch die damalige Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland gebeten, und falls nein, warum nicht?

21.Wird die Bundesregierung eine entsprechende Bitte um Verzeihung aus-sprechen, und wenn nein, warum nicht?

22.Erwägt die Bundesregierung, aufgrund der dokumentierten Unterstüt-zung der Verantwortlichen für die Massaker durch die damalige Bundes-regierung der Bundesrepublik Deutschland den Opfern der Massaker Re-parationszahlungen zukommen zu lassen, und wenn nein, warum nicht?

Die Fragen 20 bis 22 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Die Bundesregierung teilt nicht die den Fragen zu Grunde liegende Hypothese einer Unterstützung der Verantwortlichen für die Ereignisse in Indonesien in den Jahren 1965 und 1966 durch die damalige Bundesregierung.

 

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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