Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Rede am 20.02.2016 im Bundestag zur Lage in der Ukraine

Die Proteste in der Ukraine werden massiv von geostrategischen Interessen überlagert und von Faschisten dominiert. Ein Durchbrechen der Eskalationsspirale ist dringend notwendig, die Distanzierung von Gewalt, sowohl der faschistischen Kräfte als auch unverhältnismäßiger staatlicher Repression ist dabei zentral. Ich fordere eine neue Ostpolitik die auf Kooperation mit Russland, demokratischer und sozialer Entwicklung in der Ukraine und auf Visaliberalisierung setzt.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt niemanden, dem die Bilder der letzten Tage aus der Ukraine und die Eskalation der Gewalt nicht nahegehen und der die Opfer auf allen Seiten nicht bedauert. Das geht auch mir so als jemandem, dessen Familie in der Ukraine dem Bürgerkrieg in den 20er-Jahren, dem Massenhunger in den 30er-Jahren und den Zwangsumsiedlungen in den 40er-Jahren weitgehend zum Opfer gefallen ist.

Ich wünsche mir sehr, dass das 21. Jahrhundert für die Ukraine besser wird, als es das 20. Jahrhundert war.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Voraussetzung dafür ist aber, dass die Spirale der Eskalation durchbrochen wird und dass die Ukraine nicht in einen Bürgerkrieg abgleitet. Wir müssen alles tun, um diese Eskalationsspirale zu durchbrechen.

Ich glaube nicht, dass es zielführend ist, wenn die komplexe Situation in der Ukraine einseitig dem Präsidenten Janukowitsch angelastet wird und dabei verharmlost und verschwiegen wird, welche Kräfte zum Teil auch auf dem Maidan aktiv sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich glaube auch nicht, dass es zielführend ist, wenn, wie heute, der französische, der polnische und der deutsche Außenminister mit der Androhung von Sanktionen nach Kiew fahren.

Ich war im Herbst 2012 Wahlbeobachter des Europarates in Kiew. Mein Eindruck der Situation ist, dass dieses Land sozial zutiefst gespalten ist, dass sich in den letzten 20 Jahren eine kleine Schicht unglaublich bereichert hat und dass diese kleine Schicht extremen Einfluss auf die Politik nimmt. Das ist ‑ wir haben es in die Erklärung des Europarates aufgenommen ‑ eine Oligarchisierung der Politik in der Ukraine. Sie betrifft alle geostrategischen Orientierungen. Sie betrifft sowohl die sogenannten prowestlichen Parteien als auch die prorussischen Parteien. Ich sage ganz klar, dass wir an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer stehen, wenn es darum geht, diese Oligarchisierung der Politik und diese soziale Spaltung in der Ukraine zu überwinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Leider ist es so, dass die Entwicklung in der Ukraine nach dem Scheitern des Assoziierungsabkommens sehr stark von geostrategischen Interessen überlagert wird, und zwar sowohl von der russischen Seite als auch von europäischer und US-amerikanischer Seite. Es ist leider so, dass von beiden Seiten massiver Druck dahin gehend ausgeübt wird, die Ukrainer in die eigene Einflusssphäre zu ziehen und sie aus der anderen Einflusssphäre herauszuholen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Hunko, darf Ihnen der Kollege Sarrazin eine Zwischenfrage stellen?

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Ja, bitte schön.

Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Verehrter Herr Kollege Hunko, ich möchte Ihnen eine ganz simple Frage stellen. Glauben Sie eigentlich, dass Herr Präsident Putin ‑ Sie haben gerade vom Einfluss der Vereinigten Staaten von Amerika und der Russischen Föderation geredet ‑, als er vor drei Tagen die ersten Tranchen für das Regime, die Regierung in der Ukraine freigegeben hat, die Möglichkeit gehabt hätte, Einfluss auf Herrn Janukowitsch dahin gehend zu nehmen, eine Räumung des Maidan zu unterbinden? Glauben Sie, dass Herr Putin die Möglichkeit gehabt hätte, auf Herrn Janukowitsch Einfluss zu nehmen, um zu verhindern, dass der Maidan geräumt wird, was der entscheidende Schritt zur Eskalation war?

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Ich sage deutlich: Ja, es gibt eine Einflussnahme von russischer Seite auf Präsident Janukowitsch. Es gibt aber ebenso eine Einflussnahme von europäischer und von US-amerikanischer Seite auf die Opposition. Da fordere ich ganz eindrücklich, dass die Kooperation mit faschistischen Kräften auf dem Maidan beendet wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will verdeutlichen, was damit gemeint ist. Die Partei Swoboda, die leider gegenwärtig zusammen mit dem rechten Block die organisatorisch und ideologisch dominante Kraft auf dem Maidan ist, wird vom Jüdischen Weltkongress als neonazistisch eingestuft. Die europäischen Bündnispartner dieser Partei sind die Jobbik in Ungarn, die British National Party in Großbritannien oder in Deutschland ‑ Vertreter von Swoboda waren einmal hier gewesen ‑ die NPD in Sachsen. Das ist die politische Ausrichtung dieser Partei. Wir fordern ganz klar, dass die Kooperation mit solchen Kräften beendet wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nun möchte Ihnen die Kollegin Haßelmann eine Frage stellen.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Gerne.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Hunko. Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Frage zulassen. ‑ Herr Hunko, ich möchte Sie aus aktuellem Anlass bitten, uns Ihre Position zu folgendem Sachverhalt zu erläutern. Ich will Sie fragen, ob Sie sich von dem Tweet Ihrer Kollegin Sevim Dağdelen, die die aktuelle Debatte anscheinend nicht im Plenum, sondern vielleicht aus ihrem Bundestagsbüro verfolgt und kommentiert, an die Grünen distanzieren. Ich lese Ihnen den Tweet einmal vor und bitte Sie, sich dazu zu positionieren und davon zu distanzieren:

Unerträglich diese verwelkten Grünen, die die Faschisten in der #Ukraine verharmlosen, die antisemitische Übergriffe begehen. Ein Tabubruch!

Ich finde es unerträglich, in dieser Art und Weise unsere Debatte zu kommentieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Davon gehört es sich zu distanzieren, wenn man als Sprecher der Linken hier redet.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Frau Kollegin, ich kann mich schlecht zu Tweets äußern, die ich nicht kenne.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Sie hat es doch gerade vorgelesen!)

- Nun hören Sie einmal zu! ‑ Aber ich will schon sagen, dass ich es tatsächlich problematisch finde ‑ das habe ich eben auch ausgeführt ‑, dass Kräfte wie die Swoboda-Partei als Teil des Oppositionsbündnisses in der Ukraine akzeptiert und toleriert werden.

(Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das macht doch überhaupt niemand! Was fällt Ihnen ein! ‑ Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr gestörtes Verhältnis zur Freiheit ist nicht unser Problem! Das ist ein Problem im Verhältnis zur Ukraine! Hören Sie mal zu, was gesagt wird! Erzählen Sie nicht so einen Quatsch!)

- Ich habe die Debatte so wahrgenommen. Mir geht die hier stattgefundene Distanzierung von diesen Kräften nicht weit genug. Seit den Parlamentswahlen im Oktober 2012, die ich beobachtet habe und bei denen ich das auch schon gesagt habe, sind die Vaterlandspartei, die Klitschko- oder UDAR-Partei und die Swoboda-Partei in einem gemeinsamen Oppositionsbündnis.

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Nein! Das ist doch falsch! ‑ Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

Ich kritisiere das, und ich fordere eine Distanzierung von solchen Parteien.

(Beifall bei der LINKEN - Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat mit Dağdelen überhaupt nichts zu tun, was Sie hier erzählen!)

- Mag sein, dass Sie das anders wahrnehmen. Ich sehe das so, und ich will jetzt mit meiner Rede fortfahren.

Ich glaube, wir brauchen gegenüber der Ukraine und gegenüber Osteuropa eine andere Ostpolitik. Die Ukraine ist nach wie vor ungefähr hälftig an Russland und hälftig an der Europäischen Union orientiert. Wenn die Spannungen zwischen der EU und Russland weiter verschärft werden, dann wird das auf dem Rücken der Ukraine und der Menschen dort ausgetragen, und das Land wird in einen Bürgerkrieg getrieben.

Ich fordere eine neue Ostpolitik, die vor allen Dingen auf Kooperation mit Russland setzt. Ich fordere auch eine Wirtschaftspolitik, die vor allen Dingen auf die soziale Entwicklung in der Ukraine setzt statt auf die Öffnung der Märkte für europäische Konzerne. Vor allen Dingen fordere ich ‑ das hat mein Kollege Liebich vorhin schon gesagt; dazu werden wir auch eine Initiative einbringen ‑, dass endlich das restriktive Visaregime gegenüber den Menschen in der Ukraine aufgehoben wird und dass es eine Visaliberalisierung gibt,

(Beifall bei der LINKEN)

damit sich die Zivilgesellschaft in der Ukraine mit der europäischen Zivilgesellschaft austauschen kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

 

Quelle: Plenarprotokoll 18/17 vom 20.02.2014

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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