Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Inwiefern wird die Bundesregierung unverzüglich, als Konsequenz aus der aus ihrer Sicht „absolut inakzeptablen“ Nichtgenehmigung des „absolut notwendigen“ Besuches (vgl. https://www.tagesschau.de/incirlik-besuchsverbot-103.html) einer Delegation des Deutschen Bundestages in Incirlik durch die türkische Regierung, den Abzug der Bundeswehr aus Incirlik einleiten, für den bereits im letzten Jahr alternative Standorte gesucht wurden, und welche Auswirkungen hat dies auf die Millioneninvestitionen, die die Bundesregierung zum Ausbau der Luftwaffenbasis Incirlik geplant hatte (vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/bundeswehr-tuerkei-111.html)?

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege, ich antworte Ihnen wie folgt: Das Bundesministerium der Verteidigung wird die im Dezember 2016 im Rahmen einer Ersterkundung gewonnenen Erkenntnisse bezüglich möglicher alternativer Standorte konkretisieren und die aktuelle Verfügbarkeit prüfen. Ein entsprechendes Erkundungsteam verlegt dazu aktuell nach Jordanien. Bislang wurden keine Investitionen am Standort Incirlik getätigt, die über Maßnahmen zur Instandhaltung der genutzten Infrastruktur hinausgehen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank. – Jetzt hat sich der Kollege Gehrcke gemeldet.

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung:

Gibt es nicht erst Nachfragen des Fragestellers? Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, ja. Es ist gut, dass Herr Brauksiepe immer darauf achtet, dass ich keinen Fehler mache. Vielen herzlichen Dank.

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung:

Sehr gern, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich weiß, das tun Sie gerne. – Herr Hunko, bitte.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Vielen Dank. – Es geht um die skandalöse Verweigerung des Besuchsrechts des Parlamentes am Standort in Incirlik. Wir hören dazu von der Bundesregierung durchaus starke Worte. Sigmar Gabriel spricht von „Erpressung“, die Bundeskanzlerin etwa sagt, das sei „inakzeptabel“. – Das ist natürlich völlig richtig. Aber wir haben gerade erfahren, dass das Thema auch nach diesem neuen Vorfall, dass also der Verteidigungsausschuss nicht nach Incirlik fahren durfte, im Kabinett nicht behandelt wurde. Man findet zwar starke Worte für die deutsche Öffentlichkeit, hält aber offensichtlich am Mandat für Incirlik fest. Nachdem wir jetzt nicht mehr von einer Parlamentsarmee reden können, weil es kein Besuchsrecht gibt, noch einmal die Frage: Gibt es Abzugsüberlegungen, ganz konkret und ganz unverzüglich?

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Brauksiepe, bitte.

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung:

Herr Kollege, was das Thema der Kabinettsbefassung angeht, wissen Sie, dass das entsprechende Bundestagsmandat durch einen Antrag der Bundesregierung, der im Kabinett beschlossen worden ist, zustande kam. Ich kann ansonsten nur die Ausführungen wiederholen, die ich schon gemacht habe. Es hat schon im letzten Jahr Erkundungen gegeben. Diese werden jetzt konkretisiert. Gerade heute hat sich ein entsprechendes Erkundungsteam auf den Weg nach Jordanien gemacht, um genau das zu konkretisieren, was wir bisher an Erkenntnissen gewonnen haben. Darüber hinaus bedarf es natürlich, wenn es zu einer Verlegung käme, einer entsprechenden politischen Entscheidung. Die entsprechenden Erkundungen werden aber durchgeführt.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Hunko, zweite Frage oder Rückfrage?

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Ich kann mich, Herr Kollege, des Eindrucks nicht erwehren, dass hier auf Zeit gespielt wird. Dieser Zustand besteht schon seit einem Dreivierteljahr und hat sich jetzt noch einmal zugespitzt. Jetzt sagen Sie: Es wird ein Erkundungsteam nach Jordanien geschickt. Wir sagen: Es ist unter diesen Bedingungen unmöglich, das Mandat aufrechtzuerhalten. Daran möchte ich eine Frage anschließen. Es handelt sich nicht nur um Incirlik. Es gibt auch Bundeswehrsoldaten in Konya, wo die AWACS stationiert sind; in Incirlik sind Tornados stationiert. Sollen auch die AWACS nach Jordanien verlegt werden? Wir reden ja nicht nur über den einen Standort, der nicht mehr der parlamentarischen Kontrolle unterliegt, sondern über sämtliche Standorte in der Türkei.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Brauksiepe.

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung:

Herr Kollege Hunko, ich will zunächst einmal sagen: Selbstverständlich ist und bleibt die Bundeswehr eine Parlamentsarmee. Deswegen gibt es die von Ihnen selbst zitierten Äußerungen der Bundesregierung. Das Stichwort „Parlamentsarmee“ bezieht sich selbstverständlich auf alle Soldatinnen und Soldaten und auf sämtliche mandatierten Einsätze innerhalb der Türkei und auch auf Einsätze in anderen Gebieten, für die wir mit unseren Soldatinnen und Soldaten mandatiert sind.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke schön. – Nächster Fragesteller: Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Danke sehr, Frau Präsidentin. – Parlamentsarmee bedeutet, dass das Parlament Soldatinnen und Soldaten entsenden kann, was es leider fast immer tut, aber nach § 8 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes auch zurückholen kann. Wenn im Bundestag eine Initiative von mindestens zwei Fraktionen gestartet würde, die deutschen Soldaten aus Incirlik sofort zurückzuholen: Wäre die Bundesregierung bereit, dies öffentlich zu unterstützen, oder wäre dies nicht der Fall?

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung:

Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung hält in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Deutschen Bundestages den Kampf gegen den Terror des sogenannten „Islamischen Staates“ für sinnvoll und notwendig und findet es richtig, dass sich die Bundeswehr an diesem Kampf beteiligt.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gefragt!)

Dafür sind unsere Soldatinnen und Soldaten mandatiert. Wenn es andere Mehrheitsverhältnisse gäbe, würden die natürlich auch zur Geltung kommen. Aber diese Frage stellt sich für die Bundesregierung nicht. Wir haben ein Mandat. Das hat der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen. Dieses Mandat halten wir für sinnvoll.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank. – Jetzt folgt die Kollegin Hänsel.

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Danke schön. – Herr Staatssekretär, ich habe noch eine Nachfrage. Es ist geplant, die Infrastruktur in Incirlik auszubauen. Sie haben eben gesagt, es seien da noch keine Gelder geflossen. Stimmt das? Wie viel genau ist bisher für den Ausbau in Incirlik geflossen? Wie viel ist geplant? Und werden Sie es stornieren, oder läuft es jetzt mit den Haushaltsplanungen einfach so weiter, dass das Geld zur Verfügung steht und weiterhin Incirlik mit eingeplant wird?

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Brauksiepe.

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung:

Frau Kollegin, ich wiederhole meine Äußerung, dass keine Investitionen getätigt worden sind, die über Maßnahmen zur Instandhaltung der genutzten Infrastruktur hinausgehen. Das ist nichts, was ich als einen Ausbau bezeichnen würde. Es gibt kein Infrastrukturprotokoll. Es hat in der Tat Planungen gegeben, was den Ausbau der Infrastruktur angeht. Die bedürften aber natürlich der Zustimmung der türkischen Seite. Dazu müsste ein Infrastrukturprotokoll unterzeichnet werden. Dies ist von türkischer Seite bisher nicht erfolgt.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und von deutscher Seite?)

Es gibt Behelfslösungen im Bereich der Infrastruktur, die zurzeit dazu beitragen, dass wir mit der Situation, die wir dort haben, leben können, was die Bedingungen für unseren Einsatz angeht, wie es überhaupt so ist, dass aus militärischer Sicht der Standort Incirlik vorzugswürdig ist.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke schön. – Dann Kollege Jürgen Trittin, bitte.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Herr Kollege Brauksiepe, ich stelle zunächst einmal fest, dass Sie den Bundestag unvollständiger unterrichten als die Presse. Ich habe heute Morgen schon in einem öffentlich-rechtlichen Radiosender gehört, dass auf das erste Vorauskommando nach Jordanien ein zweites folgen wird, das von der Oberkommandierenden, Frau von der Leyen, angeführt wird. Das hätten Sie bei dieser Gelegenheit hier auch erwähnen können. Die Frage, die ich aber eigentlich habe, ist: Sind diese Vorauskommandos überhaupt nötig? Wäre es vor dem Hintergrund der fehlenden verfassungsrechtlichen Grundlagen für diesen Einsatz, der eben nicht in einem System kollektiver Sicherheit stattfindet, was Voraussetzung nach dem Bundesverfassungsgericht ist, nicht klüger, die Soldatinnen und Soldaten dort einfach abzuziehen, statt sich nach Alternativstandorten umzusehen?

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Genau!)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Brauksiepe, bitte.

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung:

Herr Kollege Trittin, die Bundesregierung ist der Auffassung, dass dieser Einsatz nicht nur politisch sinnvoll und notwendig ist, sondern selbstverständlich auch verfassungskonform ist. Das haben wir auch in anderen Zusammenhängen, nämlich bei der Begründung des Mandats wie auch bei der jeweiligen Verlängerung, hinlänglich diskutiert. Dazu kann man selbstverständlich verschiedene Auffassungen haben. Wer über die Verfassungsgemäßheit eines Einsatzes, eines Gesetzes oder Beschlusses in unserem Rechtsstaat zu entscheiden hat, ist bekannt. Es gibt keine Entscheidungen von zuständiger Stelle, die die Verfassungskonformität des Einsatzes infrage stellen. Ich habe darüber hinaus im Übrigen niemanden von der Presse über irgendetwas in diesem Zusammenhang informiert. Und erlauben Sie mir den Hinweis: Die Frau Bundesministerin der Verteidigung ist kein Vorauskommando,

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Eindruck haben wir bei diversen Affären auch: dass sie die Nachhut ist!)

sondern sie wird in den nächsten Tagen planmäßig einen Besuch in Jordanien durchführen, meines Wissens auch nicht ihren ersten. Sie ist nicht als Vorauskommando dort.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank. – Dann hat sich noch Katja Keul gemeldet.

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Der Kollege Trittin hat ja gerade noch einmal in Erinnerung gerufen, dass wir diesem Mandat aufgrund seiner Verfassungswidrigkeit ohnehin nicht zugestimmt haben. Inzwischen gibt es aber auch Veränderungen – unter anderem die Eskalation in den Beziehungen zur Türkei –, sodass ich Sie an der Stelle fragen möchte, ob die Bundesregierung das Mandat als solches vor dem Hintergrund der Entwicklungen nicht auch sicherheitspolitisch anders bewertet. Wir haben ja sowohl Probleme mit dem Bündnispartner Türkei, müssen aber auch feststellen, dass der Bündnispartner USA offensichtlich seine Richtlinien geändert hat. Außerdem sind inzwischen seit März wöchentlich ungefähr 30 tote Zivilisten durch unser eigenes Bündnis zu beklagen. Kommt also die Bundesregierung selbst vor diesem Hintergrund nicht auch zu einer Neubewertung dieses Einsatzes?

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: Frau Kollegin, Sie haben zu diesem Sachverhalt ja schon in vielerlei Zusammenhängen Fragen gestellt, die ich Ihnen auch beantwortet habe. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Es gehört leider offenkundig zur Strategie des sogenannten „Islamischen Staates“, Zivilisten in die Auseinandersetzung hineinzuziehen und auch zivile Opfer in Kauf zu nehmen. Die Koalition, die dort im Rahmen der Operation Inherent Resolve tätig ist, tut alles ihr Mögliche, um zivile Opfer zu vermeiden. Erlauben Sie mir darüber hinaus – ich selbst bin ja auch Abgeordneter und glaube, die Zuständigkeiten von Abgeordneten einigermaßen zu kennen –, anzumerken, dass ich es doch sehr kühn finde, dass Sie meinen, hier en passant die Verfassungswidrigkeit eines solchen Einsatzes feststellen zu können. Ich bin froh, dass wir ein Bundesverfassungsgericht haben, das sich zuständigkeitshalber mit Fragen der Verfassungswidrigkeit oder Verfassungsmäßigkeit von Beschlüssen des Deutschen Bundestages beschäftigt.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem dürfen wir Rechtsauffassungen haben!)

– Sie haben hier keine Rechtsauffassung geäußert, sondern Sie haben so getan, als sei das, was Sie hier gesagt haben, eine Tatsache.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja auch so! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist ja auch eine Tatsache!)

– Sie können im Protokoll nachlesen, was Sie gesagt haben. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Rechtsauslegung gegen Rechtsauslegung, also bitte schön!)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank. – Jetzt hat noch Hubertus Zdebel das Wort.

Hubertus Zdebel (DIE LINKE):

Herr Parlamentarischer Staatssekretär Brauksiepe, ich habe eine Nachfrage, weil mir das bei Ihren Ausführungen noch nicht ganz klar geworden ist. Beziehen sich denn jetzt die Verlegungspläne außer auf Incirlik, wo ja die Tornados stationiert sind, auch auf Konya, wo die AWACS-Flugzeuge stationiert sind? Vielleicht könnten Sie dazu noch einige Ausführungen machen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Brauksiepe, bitte.

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung:

Nach dem, was mir bekannt ist, ging es sowohl bei der schon vor Monaten durchgeführten Ersterkundung als auch bei der jetzigen Konkretisierung der gewonnenen Erkenntnisse darum, mögliche Alternativen zum Standort Incirlik zu erkunden. In diesem Zusammenhang hatte ich schon gesagt – das wiederhole ich gerne noch einmal –, dass aus militärischer Sicht Incirlik ein sinnvoller Standort ist. Gleichwohl geht es bei den Erkundungen um Alternativen zum Standort Incirlik. Andere Fragen stellen sich für die Bundesregierung in diesem Zusammenhang jetzt nicht. Es geht ja nun darum, dass der Verteidigungsausschuss einen Besuch in Incirlik geplant hat. Es hatten auch schon andere – ich könnte ein paar Geschichten darüber erzählen – in der Vergangenheit Besuche in Incirlik geplant, die nicht stattgefunden haben. Aber selbstverständlich wiederhole ich auch gerne, dass wir unabhängig von Incirlik erwarten, dass Parlamentarier Bundeswehrsoldaten an jedem Standort, an dem sie mandatierterweise im Einsatz sind, besuchen können.

Quelle: Plenarprotokoll 18/233

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko