Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Wie hat sich die Bundesregierung im Kontext der Coronakrise für die Lockerung oder Aufhebung von US-Wirtschaftssanktionen eingesetzt, die betroffene Länder wie Venezuela, Kuba, Iran, Syrien oder Russland bei der Bekämpfung der Sars-CoV-2-Pandemie massiv behindern („Acht Länder fordern Ende von Sanktionen wegen Corona“, 26. März 2020, www.rnd.de), und schließt sie sich den Forderungen des UN-Generalsekretärs António Guterres nach einem weltweiten Waffenstillstand („Guterres: Aufruf zu einem Globalen Waffenstillstand“, 23. März 2020, unric.org) und der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet nach der Aussetzung von Sanktionen an („UN: Sanktionen während der Corona-Krise aussetzen“, 24. März 2020, www.focus.de)?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Kollege Hunko, der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außenund Sicherheitspolitik, Josep Borrell, hat in einer Erklärung am 3. April die Haltung der EU zu Sanktionen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie dargelegt. Er hat betont, dass Sanktionen die Lieferung wichtiger Ausrüstung und Materialien, die für die Bekämpfung des Coronavirus und die Begrenzung seiner weltweiten Verbreitung erforderlich sind, nicht behindern sollten. Gleichzeitig hat der Hohe Vertreter klargestellt, dass Sanktionen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union Ausnahmen aus humanitären Gründen vorsehen, die sicherstellen, dass diese Sanktionen den weltweiten Kampf gegen Covid-19 nicht behindern.

Der Hohe Vertreter hat weiterhin betont, dass Sanktionen eine unverzichtbare Rolle spielen, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Verstößen gegen das internationale Recht, der Bekämpfung der Verbreitung von Waffen, der Unterbindung des Zustroms von Waffen in Kriegsgebiete oder der Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen. Die EU fordert andere Länder und Gebiete auf, die nötigen Klarstellungen vorzunehmen, um zu gewährleisten, dass ihre jeweiligen Sanktionen kein Hindernis für den weltweiten Kampf gegen die Pandemie darstellen. Und diese Auffassung des Hohen Vertreters teilt die Bundesregierung vollumfänglich.

Aus Sicht der Bundesregierung wird bei den bestehenden Sanktionen der Vereinten Nationen und der EU der Sorge vor nicht beabsichtigten humanitären Auswirkungen – auch bezüglich Unterstützungsmaßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 – innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens angemessen Rechnung getragen. Auch US-Wirtschaftssanktionen beinhalten nach Kenntnis der Bundesregierung Ausnahmen für medizinische und humanitäre Güter und sanktionieren keine Lieferungen in diesen Bereichen. Es ist gut, dass die US-Regierung das auch in Äußerungen klargestellt hat.

Die Bundesregierung bemüht sich gemeinsam mit ihren europäischen Partnern darum, die US-Regierung zu weiteren notwendigen Klarstellungen in Bezug auf Ausnahmeregelungen für humanitäre Transaktionen zu bewegen. Dazu zählt unter anderem ganz konkret der Vorschlag, eine Positivliste genehmigungsfreier Güter zur Bekämpfung von Covid-19 zu veröffentlichen. Ziel ist es, dass sich entsprechende Unternehmen daran auch halten.

Den Aufruf des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für eine weltweite Waffenruhe unterstützt die Bundesregierung ausdrücklich. In Stellungnahmen hat Außenminister Maas dies bereits mehrfach getan. Auch die von Deutschland lancierte Erklärung der Allianz für den Multilateralismus vom 16. April, der sich aktuell 24 Staaten angeschlossen haben, enthält die explizite Unterstützung der Forderung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen.

Die Bundesregierung arbeitet gemeinsam mit anderen gleichgesinnten Sicherheitsratsmitgliedern intensiv daran, dass der VN-Sicherheitsrat als Ganzes die Forderung des Generalsekretärs nach einer weltweiten Waffenruhe mitträgt. Die Bundesregierung unterstützt außerdem die Aufrufe zu Waffenstillständen der VN-Sondergesandten für die Konfliktregionen von Syrien bis Jemen. Dazu konnten wir bereits Äußerungen des Sicherheitsrates erreichen.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Vielen Dank. – Generell sollten wir eigentlich Antworten auf zwei Minuten beschränken.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Ich bitte um Nachsicht.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Die Bitte ist gewährt. – Herr Kollege, eine Nachfrage.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Ja, vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatsminister, ich muss sagen: Damit fallen ja die Bundesregierung und auch die Europäische Union hinter die Forderung der Menschenrechtskommissarin der UNO, Michelle Bachelet, zurück. Sie fordert die Aussetzung der Sanktionen. Explizit benennt sie Venezuela, Kuba, Iran, Zimbabwe und Nordkorea.

Sie sagen jetzt, die Sanktionen sollten bestehen blei-ben, aber man solle sicherstellen, dass humanitäre und medizinische Güter sozusagen im Rahmen von Ausnahmeregelungen geliefert werden können. Das fällt hinter die Forderungen zurück. Meine Frage wäre: Ist Ihnen bekannt, dass diese Ausnahmeregelungen auch vorher schon bestanden, dass sie aber in der Praxis eben oftmals nicht funktionieren, weil natürlich viele Akteure – Reeder etwa – aus Angst vor möglichen Sanktionen diese humanitäre Hilfe nicht leisten?

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Staatsminister.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Präsident, vielen Dank. – Herr Hunko, Sie haben erst einmal im Grundsatz recht, dass diese klaren Verabredungen noch nicht so richtig funktionieren in der Praxis, weil es ein Prinzip der sogenannten Over-Compliance gibt. Das heißt: Aus Sorge, wirtschaftliche Nachteile zu erfahren, nutzen Unternehmen die Möglichkeiten nicht, die die Ausnahmeregelungen ihnen eigentlich eröffnen. Deswegen dringen wir ja als Europäische Union, aber auch als Bundesregierung auf eine entsprechende Klarstellung.

Ich will deutlich machen, dass wir zwar für einen uneingeschränkten und solidarischen Kampf gegen die Ausbreitung der Pandemie sind, dass aber die Gründe, die zur Beschlussfassung von wirtschaftlichen Sanktionen geführt haben, nicht hinfällig geworden sind dadurch, dass wir jetzt diese furchtbare Pandemie haben. Insofern bleiben wir einem Ziel verpflichtet: Sanktionen werden dann abgemildert oder werden dann beendet, wenn die Voraussetzungen für den Beschluss von Sanktionen nicht mehr gegeben sind.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Bitte schön, Herr Kollege.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Vielen Dank. – Konkret zum Beispiel Venezuela: Da hat ja die Bundesregierung im Februar letzten Jahres humanitäre Hilfe im Umfang von 5 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Ich habe im April letzten Jahres, ziemlich genau vor einem Jahr, dort den Leiter der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation und auch die Leiterin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Venezuela getroffen, die sehr stark signalisiert haben, dass sie diese Hilfe bräuchten, damit sie nach ihren Statuten arbeiten könnten. Wie sieht es damit aus? Wie viel von den 5 Millionen Euro humanitärer Hilfe ist an Venezuela gegangen?

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Da ist doch Sozialismus! Da läuft doch alles! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wäre das erste Mal, dass da was funktioniert!)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Bitte schön.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Kollege Hunko, selbstverständlich steht die Bundesregierung zu ihren Verpflichtungen, überall dort, wo es notwendig ist, mit humanitärer Hilfe aktiv zu helfen und dazu beizutragen, dass sich die Menschenrechtssituation, aber vor allem auch die Versorgungssituation der Menschen nachhaltig verbessert. Ich kann auch gerne Ihre Frage noch einmal zum Anlass nehmen, zu überprüfen, inwieweit die Mittel geflossen sind, ob schon vollumfänglich oder erst in Teilbeträgen.

(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Gar nichts! Null!)

Wir haben auch gerade jetzt noch einmal einen Beitrag zur Stärkung der Weltgesundheitsorganisation geleistet, weil wir auch auf internationale Zusammenarbeit und auf Teamgeist setzen. Insofern haben wir weitere Mittel dafür zur Verfügung gestellt, dass die internationale Kooperation im Kampf gegen die Pandemie verbessert werden kann.

 

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko