Der russische Präsident hat am 15. Dezember eine Änderung des Gesetzes über das russische Verfassungsgericht unterzeichnet, das dem Gericht die Befugnis gibt, die Umsetzung von Urteilen internationaler Gerichten zu stoppen, wenn diese gegen die russische Verfassung verstoßen. In vielen Medien wird der Eindruck erweckt, Russland würde damit die internationale Justiz und insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in Frage stellen. Die EMRK ist das am weitesten entwickelte Instrument zum Schutz der Menschenrechte. Jeder Mensch kann vor dem Gerichtshof individuell klagen und seine Rechte gegenüber 47 europäischen Staaten durchsetzen.
Dazu erklärt Andrej Hunko, Mitglied des Bundestages und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, die die Richter des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) wählt:
„Die Gesetzesänderung in Russland ist kein Grund für einen Aufschrei, wie er jetzt auch in deutschen Medien formuliert wird. Denn Russland revoltiert damit nicht gegen die internationale Justiz oder stellt den EGMR in Frage, sondern regelt sein Rechtssystem in vergleichbarer Weise mit dem deutschen Grundgesetz. Auch nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts steht das Grundgesetz über der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und es gibt keine absolute Bindung an die Urteile des Gerichtshofs. Gleichwohl spielt die EMRK für das Bundesverfassungsgericht und das russische Verfassungsgericht eine bedeutende Rolle, da sie nicht auf Isolation, sondern auf den notwendigen Dialog und konstruktiven Willen orientiert sind.
Die russische Entscheidung sollte man nicht vorschnell auf den Unwillen Putins gegenüber den Menschenrechts-Urteilen aus Strasbourg zu reduzieren. Das russische Verfassungsgericht hat klar entschieden, dass Russland unter der Jurisdiktion Strasbourgs bleibt und es kein Opt-out bei der Vollstreckung der Urteile gibt.
Die Entscheidung Russlands ist auch als Reaktion auf die Schwächung der EMRK von westlicher Seite zu verstehen. Es gab nicht nur die Erwägungen in Großbritannien aus der EMRK auszusteigen, sondern die EU hat ihren Beitritt zur EMRK faktisch einseitig gestoppt, obwohl die EU-Verträge zu einem Beitritt verpflichten. Spätestens seit die EU selbst staatliche Souveränität ausübt, wie bei EUROPOL und den neuen Plänen für FRONTEX, müsste die bestehende Lücke im Schutz von Menschenrechten geschlossen werden.
Die Entwicklung in Russland ist dennoch bedauerlich, da sie eine weitere Schwächung der EMRK bedeutet und es offen ist, wie die neuen Regelungen in Russland angewandt werden. Ich gehe aber nicht davon aus, dass die zahlreichen Menschenrechtsklagen der BürgerInnen vor dem EGMR auf diesem Wege ausgehebelt werden sollen.“