Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Die Außenpolitik der Linkspartei dominieren die Fundis aus dem Westen. Rot-Rot-Grün rückt damit in weite Ferne

Raus aus AfghanistanBerlin. Andrej Hunko spricht nicht mehr Ukrainisch. Sein Großvater kämpfte im Zweiten Weltkrieg in der Ukrainischen Nationalarmee gegen Stalin. Grund dafür hatte er genug: Alle seine Verwandten starben 1932/33 durch den Holodomor, die große, von Stalin beförderte Hungersnot in der Ukraine.

Der Enkel kämpft einen anderen Kampf. Der 46 Jahre alte Bundestagsabgeordnete der Linkspartei hält es mit den Roten. Sein Vater, Antikommunist und Sozialdemokrat, hatte, nachdem die Ukraine 1991 unabhängig geworden war, das Dorf wiedergefunden, in dem Andrejs Großvater gelebt hatte, er wollte ihm dort ein Denkmal als Freiheitskämpfer errichten. "Wenn du das machst, dann stelle ich eins für den Großonkel auf", hatte ihm Hunko halb scherzhaft geantwortet. Der Großonkel hatte in der Roten Armee gekämpft.

Hunko, in Aachen aufgewachsen, hat einst Medizin studiert, das weit fortgeschrittene Studium abgebrochen. Er war Lkw-Fahrer, Drucker, Krankenpfleger, seit zwanzig Jahren ist er friedensbewegt und links engagiert, besucht immer noch gern den heimischen Marx-Zirkel. Nun will er im Bundestag Europa-Politik machen. Die EU sieht er als kommende imperialistische Großmacht, "einen Block wie die USA", der Lissabon-Vertrag ist ihm Teufelswerk - er enthalte einen "Aufrüstungsauftrag". Der Mann mit dem Pferdeschwanz, der sich als Sprecher der Montagsdemos gegen Hartz IV einen Namen machte, hat vor einigen Monaten für Schlagzeilen gesorgt, weil er sich angesichts der Wirtschaftskrise "soziale Unruhen" in Deutschland wünschte. "Raus aus den Wohnzimmern und rauf auf die Straße", hatte er gefordert. Als wilder Radikaler sei er in der Presse dargestellt worden. Doch damit könne er leben. "Unruhe ist Bewegung", rechtfertigt er seine Haltung.

Hunko ist mit seinen Positionen in der Linksfraktion im Bundestag kein Einzelfall. Im Gegenteil: Die Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik ist fest in der Hand der Fundamentalisten aus den westlichen Landesverbänden. Deren Stoßtrupp sind die elf Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen. Ein Reformer, wie der Berliner Abgeordnete Stefan Liebich, steht im Arbeitskreis Internationales auf verlorenem Posten.

Denn den Ton in den außenpolitischen Stellungnahmen der Fraktion geben andere vor: Christine Buchholz etwa, 38 Jahre, Mitglied des Bundesvorstands. Die Berlinerin, die über die hessische Landesliste in den Bundestag einzog, will dafür sorgen, dass die "Linke" außenpolitisch auf Fundi-Kurs bleibt. Während des Libanon-Kriegs hatte sie sich in einem Interview gegen Israel gestellt. "Auf der anderen Seite stehen in diesem Konflikt die Hizbullah, die Friedensbewegung in Israel und die internationale Antikriegsbewegung. Das ist die Seite, auf der auch ich stehe", hatte sie gesagt. Sie habe keine Sympathie für die Hizbullah, meint sie heute. Aber der Krieg sei damals nur von einer Seite, nämlich Israel, geführt worden.

Frau Buchholz gehört der etwa 400 Mitglieder starken trotzkistischen Politsekte "Marx 21" an, die sich früher "Linksruck" nannte und die geschlossen der "Linken" beigetreten ist. Der Verfassungsschutz beobachtet die Gruppe, zu der auch die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke aus Bayern gehört. Sie habe kein Problem damit, Trotzkistin genannt zu werden, sagt Frau Buchholz, schließlich bedeute das, dass sie Anti-Stalinistin sei.

Die Bombardierung der Tanklastzüge bei Kundus durch die Bundeswehr nennt die friedenspolitische Sprecherin ihrer Fraktion "einen Strategiewechsel hin zum offensiven Töten von Afghanen" und zieht Parallelen zum Krieg der Amerikaner in Vietnam. Den Einsatz der Bundeswehr gegen Piraten vor der Küste Somalias sieht sie im Zusammenhang mit der Politik der Bundesregierung, "den deutschen Zugang zu Rohstoffen und die Weltwirtschaftsordnung zu sichern".

Und natürlich ist für die linken Fundis die Nato der Hauptfeind. Die Abgeordnete Kathrin Vogler aus Nordrhein-Westfalen, fast ein Jahrzehnt hauptamtliche Geschäftsführerin der "Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner", sagt, deren neues strategisches Konzept sei "noch aggressiver als das vorige". Die Linkspartei müsse gegen "die ganz große Koalition" aller anderen Parteien stehen, "die die Bundeswehr beinahe beliebig im Ausland einsetzen will".

Zu den neu ins Parlament gewählten "Fundis" aus Nordrhein-Westfalen, Bayern oder Hessen kommen die alten, wie etwa Diether Dehm, der niedersächsische Landesvorsitzende. Dehm und seine Gesinnungsfreunde hatten die Partei, als sie noch PDS hieß, auf dem Geraer Parteitag im Herbst 2002 an den Rand des Abgrunds gebracht. Dehm, damals Vize-Parteichef, hatte mit anderen Beton-Kadern die Partei stramm auf ultralinken Kurs gedrillt und die Reformer ausgebootet. Die verließen in Scharen die Partei. Andrea Gysi, die Ehefrau des Linken-Fraktionschefs, gehörte dazu, oder die durch ihre Punkfrisur bekannte Angela Marquardt, damals das Aushängeschild für die Jungen in der Partei. Sie arbeitet heute im Büro von Andrea Nahles. Dehm fuhr die PDS in Windeseile gegen die Wand - die erholte sich erst, als Lothar Bisky als Parteichef zurückkam.

Dehm startete in Niedersachsen eine neue Karriere. Dort kandidierte mit seiner Billigung das DKP-Mitglied Christel Wegner auf der "Linken"-Wahlliste zur Landtagswahl 2008. Die Kommunistin rechtfertigte in einem Interview die Mauer und wünschte sich nach dem Sieg der Revolution eine Art neuer Stasi - die Parteiführung, die Dehm hatte gewähren lassen, distanzierte sich dann von der DKP-Frau. Der Erfolgskomponist, der linke Hits ("Das weiche Wasser") geschrieben hat, hat auch schon musikalisch das Altkommunisten-Treffen in Ziegenhals umrahmt, einem roten Wallfahrtsort, an den sich mancher ehemalige DDR-Pionier gut erinnert. Dort hatte Kommunistenchef "Teddy" Thälmann am 7. Februar 1933 ein Funktionärstreffen der von den Nationalsozialisten für illegal erklärten KPD organisiert. Im Februar 2008 sprach als Festredner in Ziegenhals der ehemalige DDR-Verteidigungsminister Heinz Kessler, der die Mauer seit Jahren mit technokratischer Raffinesse zu verharmlosen versucht, indem er etwa ihre Ausdehnung ins Verhältnis zum Territorium der DDR setzt. Die DDR kennt Dehm gut, er hat zwischen 1971 bis 1978 als "IM Dieter" und "IM Willy" über die Jusos und die Falken, die Maoisten, Trotzkisten und andere Gruppen im linken Südhessen bei zahlreichen Treffen berichtet. Dehm behauptet, er sei abgeschöpft worden. "Stasi-Mitarbeiter" darf er laut Gerichtsbeschluss aber genannt werden.

Heute kämpft Dehm als wiedergewählter europapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion gegen die "Geheimdiplomatie" der EU und gegen den "neoliberalen, militaristischen" Vertrag von Lissabon. Für einen Aufruf gegen den Vertrag hatte der bekennende Lafontaine-Fan 2007 eine illustre Schar von Unterzeichnern zusammenbekommen, die von Konstantin Wecker, Katja Ebstein bis zu Reinhard Mey reichte. Auch Gregor Gysi und Lafontaine waren dabei. In der Nation, so glaubt Dehm, lasse sich der Sozialismus besser verwirklichen - "nationalbolschewistisch" nennen manche Genossen seinen Kurs.

Die Fundis können zufrieden sein: Von einer Reform ihrer außenpolitischen Positionen ist die Linkspartei heute weit entfernt. Und sie ist bis jetzt nicht bereit, sich den eigenen Widersprüchen zu stellen. So bekundet etwa Fraktionschef Gysi Sympathie für den friedenssichernden Einsatz von UN-Truppen im Libanon - nur die Deutschen sollten dort aus historischen Gründen nicht dabei sein. Parteichef Lafontaine hat sich noch im vergangenen Februar im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" dafür ausgesprochen, eine europäische Armee zu schaffen. Das alles passt nicht zusammen mit den radikalpazifistischen Positionen, die in der Fraktion dominieren.

Vor allem stellt die antiimperialistische Front der Außenpolitiker das größte Hindernis dafür dar, eine rot-rot-grüne Perspektive im Bund bis zum Jahr 2013 zu entwickeln. Ein roter Joschka Fischer, der die Linkspartei zu den realpolitischen Ufern der deutschen Außenpolitik führt, ist nicht in Sicht. Gysi, der geborene Moderator, will diese Rolle nicht spielen. Er möchte die Partei zusammenhalten, die an dem Widerspruch zwischen Realos/Osten und Fundamentalisten/Westen zu zerbrechen droht. Schon im Jahr 2000 war Gysi auf dem Münsteraner Parteitag der PDS mit seinem Versuch gescheitert, das kategorische Nein seiner Partei zu Militäreinsätzen der Vereinten Nationen aufzuheben und stattdessen jeden Einzelfall zu prüfen. Er trat damals vom Fraktionsvorsitz zurück.

Weiter als damals ist die Partei bis heute nicht gekommen. Selbst mancher realpolitisch orientierte Ostgenosse, der in der Kommunalpolitik der Privatisierung des Krankenhauses zustimmt, kompensiert solche lokalen Sünden mit dem Treuebekenntnis zu einer kompromisslosen Außenpolitik. Die Hoffnung, daran etwas zu ändern, ist bei den Reformern gering. Die Linkspartei werde weitere zehn Jahre brauchen, um auf diesem Feld zu realistischen Positionen zu kommen, sagt ein Genosse voraus.

Veröffentlicht in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10.1.2010, Nr. 1 / Seite 5

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