Die Venezuela-Linie der Bundesregierung ist ein historischer Bruch in der deutschen Außenpolitik
Von Andrej Hunko
Mit seiner Selbsternennung zum Präsidenten Venezuelas hat Juan Guaidó ein politisches Erdbeben ausgelöst. Auch wenn gut zwei Monate nach Beginn dieses vor allem von den USA gestützten Putschversuches die Regierung Maduro weiterhin im Amt ist, bleibt die Situation brandgefährlich und ein bewaffneter Konflikt möglich. Die Bundesregierung gibt zwar vor, für eine friedliche Lösung zu arbeiten. Tatsächlich hat sie durch ihre vorschnelle Anerkennung Guaidós aber den Konflikt verschärft und darüber hinaus alle Hebel aus der Hand gegeben, um als Vermittlerin zu agieren.
Die Liste von Militärinterventionen und Umsturzversuchen der USA ist allein in Lateinamerika lang. Selten haben diese Regime-Change-Operationen jedoch in einer Offenheit stattgefunden, wie sie sich aktuell in Zusammenhang mit Venezuela beobachten lässt. Schon im Juli 2017 hatte US-Präsident Donald Trump die Option einer Militärintervention ins Spiel gebracht. Zunächst verhängten die USA dann jedoch Sanktionen, die den internationalen Zahlungsverkehrt Venezuelas massiv einschränken. Sie stellen den eigentlichen Beginn der Eskalation dar, die wir aktuell beobachten.
Im Februar 2018, schwenkte die Opposition auf eine Umsturz-Strategie um. Bis dahin hatte sie sich in Verhandlungen mit der Regierung befunden. Ein Abkommen lag zur Unterzeichnung bereit. Es sah u. a. vor, die Wahlen vorzuziehen, den Wahlrat teilweise neu zu besetzen und internationale Wahlbeobachter/innen einzuladen. Doch im letzten Moment verweigerten die Vertreter der Opposition die Unterschrift. Schließlich boykottierte ein Großteil der Opposition die Wahlen am 20. Mai, wodurch Nicolás Maduro bei einer Wahlbeteiligung von 46% mit etwa zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen wiedergewählt wurde. Die USA, die rechtsregierten Länder der Lima-Gruppe und die Europäische Union sprachen dem Präsidenten daraufhin die Legitimität ab, weil es sich nicht um freie und faire Wahlen gehandelt habe.
Mit der Amtseinführung Maduros am 10. Januar sah der radikale Flügel der Opposition dann seine Chance gekommen. Nach einer Absprache der vier relevantesten Oppositionsparteien wechselten sich diese jährlich in der Ausübung der Parlamentspräsidentschaft ab. So kam es, dass ab Januar der relativ unbekannte Abgeordnete Juan Guaidó von der kleinen radikalen Partei Voluntad Popular (VP) an der Reihe war. Im Dezember war Guaidó teilweise geheim in die USA, Kolumbien und Brasilien gereist, um den Coup vorzubereiten. Am 23. Januar schließlich erklärte er sich selbst zum Präsidenten Venezuelas.
Was dann folgte war eine bislang beispiellose Intervention in die inneren Angelegenheiten eines Landes. Es dauerte nur wenige Minuten bis US-Präsident Trump die Anerkennung Guaidós als Präsident Venezuelas verkündete. Dem folgte eine Welle von ähnlichen Erklärungen von etwa 50 der 193 UNO-Mitgliedsländer.
Deutschland als Hardliner in der EU
Während die Bundesregierung in den ersten Tagen nach der Selbst-Proklamation Guaidós noch uneins wirkte, schoss sie sich dann relativ schnell auf eine harte Linie ein. Im Einvernehmen mit Spanien, Frankreich und Großbritannien und setzte sich für eine Anerkennung Guaidós ein. Zuvor stellten sie der Regierung Venezuelas ein Ultimatum, binnen acht Tagen Neuwahlen auszurufen. Wie zu erwarten wies die Regierung Maduro dies brüskiert zurück und am 4. Februar verkündeten mehrere EU-Mitglieder die Anerkennung Guaidós, darunter auch Deutschland.
Auf EU-Ebene gestaltete sich der Prozess weniger einfach. Denn aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips in außenpolitischen Fragen reichte der Widerspruch einiger Länder, um zu verhindern, dass die EU mit geeinter Stimme der Anerkennungslinie folgte. Vor allem Italien und Griechenland waren in dieser Zeit Länder, die bremsten.
Völkerrechtswidrige Einmischung
Mit gutem Recht: Denn die Anerkennung Guaidós basiert nicht nur auf einer äußerst abenteuerlichen Interpretation der Verfassung Venezuelas, sie ist auch völkerrechtswidrig. Dies haben auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in zwei Gutachten nahegelegt. Zwar knüpfen die Expert/innen des Parlaments die abschließende Beurteilung an die Frage, ob der als Präsident anerkannte Akteur in Venezuela sich „endgültig durchgesetzt“ hat und über die „effektive Kontrolle über die Staatsgewalt, einschließlich der Streitkräfte und des Sicherheitsapparates“ verfügt. Der offensichtlichen Antwort, dass dies nicht der Fall ist, kann sich aber inzwischen auch die Bundesregierung selbst nicht mehr entziehen.
Das hindert die Bundesregierung allerdings bislang nicht, an ihrer Venezuela-Linie festzuhalten. Im Gegenteil: Das Auswärtige Amt legte sogar noch einen drauf, indem Außenminister Heiko Maas den deutschen Botschafter in Caracas anwies, Personenschützer für den Putsch-Präsidenten zu spielen. Gemeinsam mit den Botschaftern Frankreichs und Spaniens sowie der rumänischen Geschäftsträgerin empfing Daniel Kriener Guaidó am Flughafen, als dieser am 4. März nach Venezuela zurückkehrte. Doch während seine Kolleg/innen sich eher zurückhaltend äußerten, wiederholte der deutsche Botschafter die Unterstützung Guaidós als Präsident und die Forderung nach Neuwahlen. Wenig überraschend reagierte die venezolanische Regierung auf diesen Auftritt mit der Ausweisung Krieners.
Diplomatie in der Sackgasse
Die Bundesregierung hat sich damit zunehmend in eine diplomatische Sackgasse manövriert. Das absurde Konstrukt, einen Abgeordneten ohne reale Macht als Staatsoberhaupt seines Landes anzuerkennen, stellt einen historischen Bruch dar. Über Jahrzehnte hatte das Auswärtige Amt lediglich Staaten ihre Anerkennung ausgesprochen oder verweigert, nicht jedoch Regierungen oder Einzelpersonen. Sollte dieses Beispiel Schule machen, dann könnte es die Büchse der Pandora öffnen. Nach welchen Kriterien sollen Regierungen anerkannt werden? Im Fall Venezuelas führt die Bundesregierung an, eine Wahl sei nicht frei und fair gewesen - von Wahlmanipulationen spricht sie im Übrigen völlig zurecht nicht. Legt man aber dieses Kriterium zugrunde, so müsste man dutzenden Regierungen die diplomatische Anerkennung verweigern. Dies ist nicht der Fall und wo es in die Interessenlage passt hofiert die Bundesregierung auch ohne Probleme lupenreine Diktatoren. Allein dies zeigt den willkürlichen Charakter der Entscheidung.
Aus der Anerkennung Guaidós ergeben sich auch ganz konkrete Schwierigkeiten. Denn wie geht man mit den diplomatischen Vertretern der Regierung Maduro um, die man (eigentlich) nicht anerkennt? Verweist man sie des Landes, wie es inzwischen die USA machen? Erkennt man den Gesandten Guaidós als Botschafter an? Und welche Gesprächskanäle bleiben offen, um sich dem vorgeblichen Ziel zu widmen, eine friedliche Lösung des Konfliktes in Venezuela zu fördern? Auf diesen Fragen gibt die Bundesregierung bislang keine zufriedenstellenden Antworten.
Ignoranz und Zynismus
Wenn es um die humanitäre Situation in Venezuela geht, gibt sich die Bundesregierung unterdessen ignorant. Sie wird nicht müde zu betonen, dass Hilfe dringend benötigt werde. Wenn es aber darum geht, diese zu leisten, dann windet sie sich. Maduro lasse keine humanitäre Hilfe ins Land, weshalb die versprochenen fünf Millionen Euro nicht umgesetzt werden könnten. Allerdings erreichen sehr wohl Hilfslieferungen Venezuela und diverse UNO-Organisationen sind in Venezuela aktiv. Dass die Bundesregierung diesen die Mittel nicht zur Verfügung stellt, zeigt, wie sehr sie das Thema der humanitären Hilfe für ihre politischen Ziele instrumentalisiert.
Geradezu zynisch ist der Umgang mit den Wirtschaftssanktionen der USA. Bereits seit August 2017 haben diese dazu beigetragen, die Krise in Venezuela zu verschlimmern. Ende Januar hat die US-Regierung dann ein Öl-Embargo erlassen. In einem Land, dessen Einnahmen zu über 90 Prozent vom Erdölexport abhängen, kommt dies einer Strangulierung gleich. Angesichts der ohnehin schon sehr schwierigen Situation in Venezuela werden die sozialen Folgen der Sanktionen verheerend sein. Diese Gefahr sieht nicht nur der UN-Sonderberichterstatter zu negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen, Idriss Jazairy, sondern auch die Architekten der Sanktionen selbst. Die Bundesregierung aber stellt sich blind und sagt, sie könne „keine Vorhersage treffen“.
Teil des Problems
Die Bundesregierung hat durch ihre Venezuela-Politik am Rockzipfel der USA dem vorgeblichen Ziel, zu einer friedlichen und demokratischen Lösung der Krise in Venezuela beizutragen, einen Bärendienst erwiesen. Durch die einseitige Parteinahme an der Seite der Putschisten und die historisch einzigartige Anerkennung Guaidós als Präsidenten, hat sie politisches Kapital über Bord geworfen. Dabei hätte Deutschland durchaus eine positive, vermittelnde Rolle spielen können. Diese Chance ist aber vorerst vertan. Stattdessen hat die Bundesregierung dazu beigetragen, den Konflikt zu verschärfen. Es bleibt zu hoffen, dass andere Akteure mit mehr politischem Verstand es schaffen werden, die verfeindeten Lager an den Verhandlungstisch zu bringen, um eine gewaltsame Eskalation des Konfliktes zu vermeiden.
Dieser Text erschien in gekürzter Form in der April-Ausgabe 2019 der Sozialistischen Zeitung (SoZ)