Seit Beginn der Corona-Krise fällt die Bundesregierung durch ein unfassbares Desinteresse an der Herstellung evidenzbasierter Daten auf. Das gilt für die anfängliche Weigerung des RKI Verstorbene überhaupt zu obduzieren, setzt sich etwa mit dem geringen Erkenntnisinteresse über die Ursachen des Rückgangs der Reproduktionszahl schon vor dem ersten Lockdown im letzten April und über die Weigerung repräsentative Studien zu erstellen fort und endet gegenwärtig mit der Nicht-Erhebung von Daten zu sozialen Hintergründen der Infizierten. Auch nach einem Jahr wissen wir viel zu wenig darüber, welche Maßnahmen wie wirken.
Das Desinteresse der Bundesregierung an diesen Fragen ist angesichts der enormen Kollateralschäden verantwortungslos und kontrastiert völlig mit einer einschüchternden Risiko-Kommunikation ("Angst erzeugen"), mit der oftmals moralisch aufgeladenen Abwälzung der Verantwortung auf das private Leben der Bürgerinnen und Bürger ("Wenn Ihr brav seid, dürft Ihr Weihnachten feiern oder in Urlaub fahren"), sowie mit einer skandalösen Geringschätzung ihrer Grundrechte und sozialen Bedingungen.
Das jetzt bei der Bund-Länder-Runde beschlossenen Inzidenz- und Lockerungswirrwarr stellt leider keine grundsätzliche Abkehr von dieser Politik dar. Allein die Tatsache, dass Inzidenzwerte von der Anzahl der Tests abhängen, verbietet es diese als relationslose und alleinige Größe zu verwenden - geschweige denn Grundrechte davon abhängig zu machen.
Die im "Gesetz zur Fortführung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen" heute beschlossene Fortsetzung der Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung kann man vor diesem Hintergrund nur ablehnen, was wir heute auch gemacht haben. Derartig weitreichende Entscheidungen müssen durch das Parlament getroffen werden.
Statt durchwursteln mit immer neuen Bund-Länder-Gipfeln unter Ausschluss der Parlamente braucht es endlich bessere Daten, präzise und zielgenaue Maßnahmen mit dem Skalpell statt mit dem Lockdown-Hammer, besonderen Schutz der Hochrisikogruppen, kostenlose Tests und Überwindung des Impfchaos. Ob das mit der neuen Spitze der Corona-Taskforce, Jens Spahn und Andreas Scheuer, gelingt, ist jedoch mehr als fraglich.
Andrej Hunko, 4. März 2021