„Kapitäninnen und Kapitäne von Schiffen unter deutscher Flagge machen sich strafbar, wenn sie gerettete Geflüchtete nach Libyen bringen. Nicht nur Staaten, sondern auch Private müssen sich also an das Verbot von Zurückweisungen (Refoulementverbot) halten. Der Verband Deutscher Reeder muss dies eilig unter seinen Mitgliedern bekannt machen“, erklärt der europapolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Andrej Hunko.
Handelsschiffkapitäninnen und –kapitäne deutsch beflaggter Schiffe machen sich wegen „Aussetzung“ nach § 221 StGB strafbar, wenn sie Geflüchtete in Länder wie Libyen bringen. Das schreiben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in dem Gutachten „Seenotrettung durch nicht-staatliche Akteure“. Zwar sieht die Verordnung über die Sicherung der Seefahrt (SeeFSichV) eine Befolgung von Anweisungen einer zuständigen Seenotleitstelle vor. Das Refoulementverbot gilt jedoch als höherrangiges Recht.
Andrej Hunko weiter:
„Ich gehe davon aus, dass auch das Recht anderer EU-Staaten so ausgelegt werden muss. In Italien ist das Urteil im Fall des Versorgungsschiffs ‚Vos Thalassa‘ einschlägig. Im Juli 2018 hatten sich an Bord genommene Schiffbrüchige zu Recht gegen eine Aussetzung in Libyen gewehrt. Ein Notwehrrecht machen auch Geflüchtete im Fall der ‚El Hiblu‘ geltend, dieses Verfahren wird demnächst vor italienischen Gerichten verhandelt.
Das Seevölkerrecht und das Internationale Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See bestimmen zudem an keiner Stelle, dass Anweisungen einer Seenotleitstelle zur Ausschiffung von Geretteten Folge geleistet werden muss. Außerdem machen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention den Staaten klare menschenrechtliche Vorgaben, die eine Ausschiffung nach Libyen verbieten. Kapitäninnen und Kapitäne MÜSSEN einen entsprechenden Befehl der libyschen Küstenwache also ignorieren.
Jahrzehntelang wurde der libysche Such- und Rettungsbereich (SAR-Zone) von der Seenotleitstelle in Rom beaufsichtigt. Auf Druck der Europäischen Union hat Libyen in 2017 eine eigene Leitstelle ausgerufen, die aber nachweislich nicht den Kriterien der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) entspricht. Es ist bedauerlich, dass nicht einmal die IMO die libyschen Verstöße prüfen will.
Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss sich deshalb dafür einsetzen, dass Einsätze in der libyschen Seenotrettungszone wieder aus Italien koordiniert werden. Laut den IMO-Regularien ist dies ohne weiteres möglich, nachdem die libysche Regierung hierzu ihr Einverständnis gibt. Dies ist umso dringlicher, da die libysche Küstenwache wegen des Bürgerkriegs nur noch in Ausnahmen einsatzfähig ist. Das Auswärtige Amt hat dies vergangene Woche bestätigt.“
Gutachten „Seenotrettung durch nicht-staatliche Akteure“ der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages: https://www.andrej-hunko.de/start/download/dokumente/1458-gutachten-der-wissenschaftlichen-dienste-des-bundestages-seenotrettung-durch-nicht-staatliche-akteure
Antwort auf die Mündliche Frage zur Einsatzfähigkeit der libyschen Küstenwache: https://www.andrej-hunko.de/bt/fragen/4884-muendliche-frage-zu-kenntnissen-der-bundesregierung-ueber-die-funktionsfaehigkeit-der-kuestenwache-in-libyen