Seit mehr als vier Jahren sitzt der ehemaliger Co-Vorsitzende der linken türkisch-kurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtaş, in der Türkei in Haft. Die Vorwürfe gegen ihn, unter anderem wegen angeblicher Mitgliedschaft in der PKK, sind offensichtlich konstruiert. Er ist ein politischer Gefangener und muss unverzüglich freigelassen werden.
Dies sieht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strasbourg so: Bereits zwei Mal, im November 2018 und im Dezember 2020, urteilte er, dass die Türkei Demirtaş freilassen muss. 2018 nahm ich als Beobachter ab dem Prozess teil. Die Türkei ignoriert diese Urteile jedoch – genauso wie im ähnlich gelagerten Fall des Unternehmers Osman Kavala – konsequent. Erdoğan reagierte auf die Urteile gar mit verbalen Angriffen auf den Menschenrechtsgerichtshof. Die deutsche Bundesregierung hat zuletzt in der EU ein unrühmliche Rolle gespielt und der Türkei den Rücken freigehalten. Statt Konsequenzen zu ziehen, will Außenminister Heiko Maas sogar noch auf Erdoğan zugehen.
Seit November ist Heiko Maas allerdings auch Vorsitzender des Ministerkomitees des Europarates. In dieser Funktion muss er alles tun, um den EGMR zu stärken und die Türkei zu drängen, die Urteile endlich umzusetzen und den Gerichtshof zu achten. Ich habe Heike Maas diese Woche zwei Mal zu diesem Problem befragt - einmal in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und einmal im Bundestag.
Herr Minister,
Sie haben aber zu Beginn Ihrer Rede auf die dringende Notwendigkeit hingewiesen, die Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs umzusetzen und auch auf die Antwort von meiner Kollegin Ms Nina KASIMATI gesagt dass man alle diplomatischen Möglichkeit ausnutzen müsse. Sie hatten nun vor gut einer Woche den türkischen Außenminister Mr Mevlüt ÇAVUŞOĞLU getroffen, der ja auch hier in der Versammlung Parlamentspräsident war, von 2010 bis 2012, mich würde interessieren; inwiefern Sie ihn auf die dringend notwendige Umsetzung der Urteile DEMİRTAŞ und KAVALA angesprochen haben und wie er reagiert hat, was seine Antwort war, wie sozusagen das Gespräch war.
Vielen Dank.
Mr Heiko MAAS
Federal Minister for Foreign Affairs of Germany, Chair of the Committee of Ministers of the Council of Europe
Vielen Dank Herr Präsident,
ich würde vielleicht gerne noch einmal – das ist ja mehrfach angesprochen worden – auf das Thema der Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eingehen. Ich habe darauf hingewiesen, dass das eine unserer Prioritäten sein wird und natürlich ist das, was wir alle miteinander verabredet haben und die Standards, die insbesondere in der Konvention festgelegt sind, für uns der Lackmustest auch für unsere Glaubwürdigkeit. Das gilt für uns als Institution, aber das gilt natürlich für jedes einzelne Mitgliedsland und deshalb werden wir alle Möglichkeiten, die wir zur Verfügung haben, nutzen, um weiterhin auf die Umsetzung der Urteile, die es gibt, zu drängen. Und darüber hinaus werden wir uns im Verlauf unseres Vorsitzes auch mit den Fällen auseinandersetzen müssen, bei denen wir feststellen, dass es auch nicht als wahrscheinlich zu betrachten ist, dass Urteile umgesetzt werden. Und damit, welche Möglichkeiten wir dabei ergreifen werden und welche Instrumente die es gibt, wir dabei nutzen werden.
Wir müssen aber sehr sehr deutlich machen, dass wir ein großes Interesse daran haben, dass der Europarat mit all seinen Mitgliedstaaten immer in seiner Glaubwürdigkeit beschädigt wird, wenn wir es nicht schaffen, das, was der Gerichtshof entscheidet, auch umzusetzen. Das mussten wir von allen, die sich an unseren Standards orientieren und die sich entsprechend verpflichtet haben, auch noch einmal sehr sehr deutlich sagen.
Auf die Frage noch einmal bezogen auf die Türkei, natürlich ist in den bilateralen Gesprächen, die es gibt, dieses Thema eines, das, ich würde sagen, regelmäßig zur Sprache kommt. Das ist auch bei meinem letzten Besuch der Fall gewesen. Und wie das so ist – es gibt in Deutschland einige Fälle, auch Konsularfälle, die wir betreuen und die bei einem solchen Thema zur Sprache gebracht werden; auch so die Fälle DEMİRTAŞ und KAVALA, die eine darüber hinausgehende Bedeutung haben aufgrund der entsprechenden Urteile, die es durch den Gerichtshof gibt. Wir haben in unserer Haltung dort sehr sehr deutlich gemacht, dass wir von allen Ländern, auch der Türkei, erwarten, dass die Urteile des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auch umgesetzt werden und wir werden diesen Druck aufrecherhalten und ich hoffe, dass die gegenwärtigen Entspannungssignale zumindest in dem ein oder anderen politischen Bereich im Verhältnis zwischen Europa und der Türkei auch dazu führen werden, dass es mehr Bereitschaft auf der türkischen Seite gibt, über diese Themen miteinander zu sprechen.
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Quelle: pace.coe.int